Grundlagen

Stratigraphische Prinzipien und relative Zeit

Ein großer Teil des Aufbaus der Erdrinde besteht aus einer Folge von Schichten verschiedener Gesteinsarten, die aufeinander geschichtet sind. Die häufigsten Gesteine, die in dieser Form vorkommen, sind Sedimentgesteine (sie entstanden aus ehemaligen Sedimenten, beispielsweise Ablagerungen in Gewässern) und Ergußgesteine (z.B. Lava, Vulkanasche und andere zuvor geschmolzene Gesteine, die auf die Oberfläche der Erde gelangten). Die Gesteinsschichten werden als 'Schichten' (Strata) bezeichnet, die Erforschung ihrer Abfolge als 'Stratigraphie'. Grundlegend für die Stratigraphie sind einige einfache Grundlagen, die auf elementarer Geometrie, Beobachtungen, wie solche Gesteine heute abgelagert werden und der Schwerkraft beruhen. Die meisten dieser Grundlagen wurden in ausgearbeiteter Form von Nicolaus Steno (dem Dänen Niels Steensen) 1669 vorgestellt, obwohl einige derselben in die Zeit vor den Autoren der Bibel zurückreichen. Einige wenige Grundlagen wurden später erkannt und genauer beschrieben. Eine frühe Zusammenfassung findet man in Charles Lyell's 'Principles of Geology' (veröffentlicht 1830 - 32), sie unterscheidet sich nicht wesentlich von einer modernen Formulierung:
 
Bedenken Sie bitte, daß das Prinzipien sind. Damit soll auf keinen Fall gesagt werden, daß es keine Ausnahmen gebe. Das Prinzip der Superposition beispielsweise beruht letzten Endes auf der Schwerkraft. Damit sich Stoffe in einer Schicht absetzen können, muß es etwas geben, das sie trägt. Sie können nicht einfach in der Luft schweben, besonders, wenn es sich um Sand, Schlamm oder geschmolzenes Gestein handelt. Das Prinzip der Superposition hat daher eine deutliche Konsequenz für das relative Alter einer vertikalen Schichtenfolge. Es gibt Situtationen, in denen es möglicherweise nicht gilt -- beispielsweise in Höhlen. In diesem Fall sind die Materialien, die die Höhle ausfüllen, jünger als die Gesteine, die Boden und Decke der Höhle bilden. Beachten Sie bitte, daß aufgrund des Prinzips der Verhältnisse bei durchschnittenen Schichten eine sorgfältige Untersuchung des Zusammentreffens der Füllung der Höhle mit dem umgebenden Gestein die tatsächlichen relativen Altersbeziehungen enthüllen wird, genauso wie durch das Prinzip des Einschlusses, wenn Bruchstücke des umgebenden Gesteins in der Füllung gefunden werden. Ablagerungen in Höhlen enthalten oft charakteristische Strukturen (z.B. Tropfsteine wie Stalaktiten und Stalagmiten), daher ist es eher unwahrscheinlich, daß irgendjemand diese als zeitlich aufeinanderfolgende Schichten mißdeuten würde.

Trotzdem sind diese geologischen Prinzipien auch keine unbegründeten Annahmen. Jede derselben ist eine prüfbare Hypothese über die Beziehungen zwischen bestimmten Gesteinen und ihren Eigenschaften. Sie werden von den Geologen in derselben Weise verwendet wie eine 'Null-Hypothese' in der Statistik -- nicht unbedingt korrekt, aber prüfbar. In den letzten 200 Jahren ihrer Anwendung haben sie sich oft als gültig erwiesen, aber die Geologen gehen nicht davon aus, daß sie es sind. Es handelt sich um 'ursprüngliche Arbeitshypothesen', die anhand weiterer Daten geprüft werden.

Durch Anwendung dieser Prinzipien ist es möglich, die Abfolge der Ereignisse für jede geologische Schichtenfolge zu interpretieren, sogar auf anderen Planeten (z.B. kann ein Einschlagskrater in eine ältere, schon vorher existierende Oberfläche einschneiden, oder Krater können sich überlappen, wodurch sie ihre relativen Alter anzeigen). Die einfachste Situation für einen Geologen ist eine 'Tortenboden'-Schichtung von Sediment- oder Ergußgesteinen, die in nahezu horizontalen Schichten angeordnet sind. In diesem Fall läßt sich das Prinzip der Superposition leicht anwenden, und die Schichten gegen den Boden hin sind älter, die gegen die Oberfläche hin sind jünger.

 
Abbildung 1. Sedimentschichten in einem Aufschluß, eine graphische Darstellung einer stratigraphischen Folge und ein Beispiel für einen Marker für 'oben': Riffelmarken

Diese Orientierung ist keine unbegründete Annahme, weil es in so gut wie allen Fällen möglich ist, durch bestimmte Marker festzustellen, wo 'oben' ist. Riffelmarken beispielsweise haben spitze Wellenkämme auf der Oberseite und eher abgerundete Tröge auf der Unterseite. Es gibt noch viele andere solcher Indikatoren, darunter solche, aus denen man den Winkel ableiten kann, unter dem die Ablagerung erfolgte ('geopetale Strukturen'), unter der 'Annahme', daß die Richtung der Schwerkraft damals 'nach unten' zeigte, was nicht allzu gewagt sein sollte :-)

Es gibt kompliziertere Fälle, beispielsweise in einem Berggürtel. Dort gibt es oft Spalten, Faltungen und andere strukturelle Differenzierungen, die die ursprünglichen Schichten deformiert und 'durcheinandergewürfelt' haben. Trotzdem kann das Prinzip der Verhältnisse bei durchschnittenen Schichten dazu verwendet werden, die Abfolge der Ablagerung, Spaltung und Faltung aufgrund ihrer Durchschneidungen zu bestimmen -- wenn Falten oder Spalten Sedimentschichten verformen oder durchschneiden, erfolgten diese Ereignisse offenbar nach der Ablagerung der Sedimente. Man kan keine Struktur (z.B. eine Ablagerung) deformieren, die noch nicht da ist! Selbst in komplizierten Fällen, in denen eine Vielzahl von Ablagerungen, Deformationen, Erosionen, Ablagerung und so weiter erfolgte, ist es möglich, die Abfolge dieser Ereignisse zu rekonstruieren. Selbst wenn die Faltung so stark war, daß Schichten umgedreht wurden und nun kopfüber liegen, kann das anhand von Markern für 'oben' erkannt werden.

Ganz egal, wie die geologische Situation aussieht, diese grundlegenden Prinzipien ergeben eine Rekonstruktion der Geschichte der Abfolge der Ereignisse für die untersuchte Region, unabhängig davon, ob es sich um Ablagerungen, Erosionen, Deformationen oder was auch immer gehandelt hat. Diese Rekonstruktion wird überprüft und verfeinert, wenn neue Daten gesammelt wurden, und diese kann (und wird oft) mit anderen Methoden, die andere Techniken verwenden, die von der radiometrischen Datierung vollkommen unabhängig sind (beispielsweise Fossilien oder radiometrischer Datierung), durchgeführt werden. Die rekonstruierte Geschichte der Ereignisse stellt eine 'relative Zeittafel' dar, weil es möglich ist, zu sagen, daß Ereignis A vor Ereignis B stattfand, welches wiederum vor C stattfand, unabhängig von der tatsächlich verflossenen Zeit, die diese Ereignisse trennt. Manchmal wird dies als 'Ereignis-Stratigraphie' bezeichnet, ein Begriff, der nichts über die Art des zur Einordnung verwendeten Ereignisses aussagt (biologisch, sedimentär, umweltbedingt, vulkanisch, magnetisch, diagenetisch, tektonisch und so weiter).

Diese einfachen Techniken wurden in großem Umfang und erfolgreich mindestens seit dem frühen 17. Jahrhundert angewendet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten die Geologen erkannt, daß viele offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen den voneinander unabhängig aufgestellten Schichtenfolgen der geologischen Ereignisse aus verschiedenen Teilen der Welt bestanden. Eine der ersten relativen Zeitskalen (1759), die auf dieser Beobachtung beruhte, war die Einteilung der Schichtenfolge der Erde (und damit ihrer Geschichte) in 'Primäre', 'Sekundäre', 'Tertiäre' und später (1854), 'Quartäre' Schichten, die vor allem auf charakteristischen Gesteinstypen aus Europa beruhten. Die beiden letzten Einteilungen werden in einer erweiterten Form auch heute noch von den Geologen verwendet. Die früheste, 'Primär', entspricht in etwa dem Paläozoikum und Präkambrium, das 'Sekundär' dem Mesozoikum der heute üblichen Terminologie. Eine weitere Beobachtung war die Ähnlichkeit der Fossilien, die man innerhalb der Schichtenfolge fand, was zum nächsten Abschnitt überleitet. 



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