Was hat Darwin eigentlich herausgefunden?

Darwin hat nach langer Vorarbeit 1859 sein epochemachendes Buch unter dem Titel 'The Origin of Species' veröffentlicht. Damals war es üblich, eine Kurzfassung des Inhalts in einem (langen) Untertitel voranzustellen, daher standen noch folgende Zeilen auf dem Titel: 'By Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle For Life'.

Das Buch ist eins der besten Naturkunde-Bücher, die jemals geschrieben wurden. Es ist randvoll mit Fakten aus den verschiedensten Gebieten, die irgendwelche Thesen des Autors belegen können. Es ist auch heute noch uneingeschränkt lesenswert, weil die meisten darin geschilderten Befunde immer noch gültig sind.

Eins ist das Buch aber nicht: eine Erklärung, wie neue Arten entstanden sind. Das klingt auf den ersten Blick überraschend. Im folgenden soll deshalb versucht werden, den theoretischen Hintergrund dieses Werkes in einfachen Worten darzustellen und dann zu verdeutlichen, was 'Darwinismus' eigentlich ist.

Man muss sich außerdem vor Augen halten, dass Darwin mehrere Theorien vertreten hat. Wir betrachten hier Evolution, verstanden als Abstammung (Deszendenztheorie) und den Mechanismus, wie diese Evolution abgelaufen ist (Selektionstheorie). In einem anderen Gedankensplitter und in meinem 'Glaubensbekenntnis' habe ich diese Gedanken näher ausgeführt. Die Deszendenztheorie wurde sehr schnell innerhalb der Biologie anerkannt, schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren so gut wie alle Biologen in diesem Sinn Evolutionisten. Über die Mechanismen wurde (und wird!) immer noch heftig diskutiert. Dieser Teil von Darwins Vermächtnis, die Selektionstheorie, ist auch heute noch ein vorstellbarer Mechanismus unter anderen. In erweiterter und verfeinerter Form (Synthetische Theorie der Evolution) stellt die Selektionstheorie die heute 'führende' Evolutionstheorie dar.

Vielleicht noch eine Begriffsklärung: eine Population ist eine Ansammlung von Lebewesen, die sich untereinander fortpflanzen. Das könnten beispielsweise alle Rehe in einem Wald sein oder alle Karpfen in einem Teich. Alle Tiere, die sich miteinander fortpflanzen können, werden in der Biologie zu einer Art zusammengefasst.

Darwins Selektionstheorie lässt sich schematisch wie folgt beschreiben: Darwin ging von folgenden (unstrittigen) Beobachtungen aus:

B1. Alle Lebewesen erzeugen mehr Nachkommen als überleben können.

Diese Beobachtung ist sehr gut gesichert. Wenn alle Nachkommen überleben würden, hätte so gut wie jede Tier- und Pflanzenart die Vermehrungspotenz, die Erde mit Organismen dieser Art zu übervölkern.

B2. Die Populationsgröße bleibt langfristig gesehen stabil

In stabilen Ökosystemen, die sich im Gleichgewicht befinden, findet man auch stabile Populationsgrößen. Das heißt, dass die Individuenzahlen einer Art in diesem Ökosystem innerhalb enger Grenzen gleich bleiben.

B3. Die Ressourcen sind beschränkt

Das dürfte eine Binsenweisheit sein.

B4. Innerhalb der Populationen gibt es eine Variationsbreite, jedes Individuum ist einzigartig

Das ist auf den ersten Blick nicht selbstverständlich. Man kann sich aber leicht von dieser Tatsache überzeugen, indem man von irgendeinem Baum ein paar Blätter pflückt. Es wird Ihnen nicht gelingen, zwei exakt gleiche zu finden. Bei diesem Beispiel handelt es sich zwar um Variation innerhalb der Organe eines Individuums, sie könnten aber genauso gut zwei beliebige Menschen (vielleicht eineiige Zwillinge ausgenommen) miteinander vergleichen.

Seit es empfindlichere molekularbiologische Verfahren gibt, konnte man diese Variation innerhalb der Arten auch durch Untersuchung von Proteinmustern belegen. Es war damals eine große Überraschung, dass man zeigen konnte, dass es hier sogenannte Polymorphismen gab. Das heißt, dass ein bestimmtes Eiweiß der Angehörigen einer Population nicht identisch war, sondern dass es durchaus verschiedene (funktionell meist gleichwertige) Varianten gab.

Inzwischen ist man sogar noch einen Schritt weiter und kann zeigen, dass diese Unterschiede eine genetische Basis haben. Das bedeutet, dass es in einer Population von Lebewesen eine große Zahl von Genen gibt, die dazu führen, dass sich die jeweiligen Träger in ihren Eigenschaften unterscheiden.

Unter folgender Voraussetzung

V1. Die Unterschiede zwischen den Organismen sind erblich

zog Darwin die folgenden Schlüsse , die zur damaligen Zeit nicht bewiesen werden konnten. Beachten Sie bitte, dass für die folgenden Betrachtungen nur erbliche Eigenschaften eine Rolle spielen.

S1. Die Individuen stehen in einem Konkurrenzkampf

Das folgt ganz einfach aus der Tatsache, dass nicht genügend Ressourcen vorhanden sind. Sobald dies der Fall ist, müssen die Lebewesen um diese 'kämpfen'.

S2. Die am besten angepassten Organismen haben die meisten Nachkommen.

Wenn nun die Voraussetzung V1 zutrifft, folgt daraus,

S3. Über viele Generationen kommt es zu einer Veränderung der Arten

Das beruht auf der Überlegung, dass die erblichen Eigenschaften an die Nachkommen weitergegeben werden. Wenn nun von diesen bevorzugt diejenigen überleben, welche die 'günstigeren' Eigenschaften geerbt haben, werden diese in den folgenden Generationen angereichtert.

Dieses Gedankengebäude sieht auf den ersten Blick nicht besonders beeindruckend aus. In der damaligen Zeit schlug es aber wie eine Bombe ein, denn es wurde erstmals ein Mechanismus erkennbar, der eine Änderung der Arten erklären konnte! Zudem wurde auf diese Weise der Gottesbeweis durch die Ordnung in der Natur praktisch widerlegt: die wunderbaren Anpassungen waren in Darwins Weltbild kein Hinweis auf einen intelligenten Konstrukteur, sondern das Werk einer langandauernden Selektion.

Darwin machte das, für jedermann einsichtig, anhand von Tier- und Pflanzenzüchtung deutlich. Wenn der Züchter aus den Nachkommen eines Tieres immer nur die zur Fortpflanzung verwendet, die seinem Zuchtziel am nächsten kommen ( Selektion ) , gelingt es, innerhalb weniger Generationen, Organismen zu erhalten, die der Ausgangsform kaum noch gleichen.

Darwin hat das sehr ausführlich am Beispiel der Taubenzucht deutlich gemacht. Vermutlich wird ihnen das Beispiel der Hundezüchtung vertrauter sein. Alle Hunderassen, die man bis heute gezüchtet hat, stammen vom Wolf ab. Durch künstliche Zuchtwahl ( Selektion ) konnten die Züchter eine große Zahl von Hunderassen erhalten, indem sie aus den Jungen, die geboren wurden, für die Zucht immer nur diejenigen verwandten, welche dem gewünschten Typ am nächsten kamen. Darwin postulierte nun, dass das in der Natur auch ganz ohne den Einfluss des Menschen vonstatten gehen könnte ( natural selection ). Das folgt zwingend aus S2. Wenn der Selektionsdruck sich nicht ändert, werden sich die Lebewesen im Laufe der Zeit so entwickeln, dass sie sich optimal an diesen anpassen.

Vielleicht in diesem Zusammenhang ein Bemerkung: es gibt in diesem Zusammenhang keine optimale Anpassung an sich. Sie ist immer relativ zum Selektionsdruck ! Ändert sich der Selektionsdruck, so kann es sein, dass die bisher bevorzugte Form plötzlich benachteiligt ist.

Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass es einige sehr strenge Winter hintereinander gibt. Dann würden bevorzugt die Tiere überleben, die diese kalten Winter besser überstehen. Wenn sich das Klima aber wieder ändert, ist genau diese Eigenschaft möglicherweise nachteilig.

Außerdem kann die Selektion natürlich nur an bestehenden Strukturen ansetzen. Angenommen, es gibt in einer Population einfach keine erblichen Strukturen, die die benötigte Anpassung ermöglichen, dann kann die Selektion nicht wirken. Üblicherweise sterben diese Lebewesen dann einfach aus.

Neue erbliche Eigenschaften gelangen durch Mutationen in die Populationen. Darwin hat diesen Punkt in seinem Werk nicht näher betrachtet, weil die Genetik noch nicht erforscht war. Niemand wusste damals, wie es überhaupt möglich ist, dass Eigenschaften vererbt werden. Darwin spekulierte zwar, im Rahmen des damaligen Kenntnisstands über 'Gemmulae', aber diese Theorie ist inzwischen definitiv widerlegt. Man ging damals davon aus, dass sich diese Gemmulae in allen Teilen des Körpers befänden und dann irgendwie in die Keimzellen gelangten und so vererbt würden.

Man kann Darwins Selektionstheorie so zusammenfassen:

In einer Population von Lebewesen gibt es erbliche Unterschiede. Je nach Selektionsdruck kommen bevorzugt die Lebewesen zur Fortpflanzung, die Eigenschaften aufweisen, welche Anpassungen an diesen Selektionsdruck darstellen. Im Lauf der Generationen wandeln sich daher die Lebewesen.

Darwin hat demnach eigentlich nur erklärt, wie aus vorhandenen Eigenschaften die günstigsten ausgelesen werden können. Er hat aber nicht dargestellt, wie Neues im Laufe der Zeit entsteht. Also beispielsweise, wie aus einem Fisch ein Amphib werden konnte. Streng genommen hat er keine Evolutionstheorie, sondern eine Selektionstheorie formuliert.

Selbstverständlich ist die heutige Evolutionsforschung wesentlich weiter. Die Entdeckung der Genetik hat Darwins Lehre auf eine solide Basis gestellt. Niemand zweifelt heute mehr daran, dass es möglich ist, innerhalb der Arten durch Mutation und Selektion Veränderungen zu erzielen ( Mikroevolution ). Mikroevolution läßt sich sowohl durch Züchtungsergebnisse als auch durch Naturbeobachtungen beweisen (z.B. Birkenspanner, Darwin-Finken). Selbst hartgesottene Kreationisten erkennen diese Tatsachen an.

Ob diese Mechanismen allerdings ausreichen, Weiterentwicklungen, die über die Artgrenze hinweggehen, also wirklich Neues schaffen ( Makroevolution ), ist eine heiß umstrittene Frage. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass bis heute noch keine Makroevolution beobachtet wurde, die Kreationisten überzeugt hätte. Selbst Evolutionisten sind sich hier, zumindest über die Mechanismen, nicht einig. Daraus versuchen die Kreationisten Nutzen zu ziehen, indem sie beispielsweise den Gradualismus gegen den Punktualismus auszuspielen versuchen. Das ist aber Unsinn, denn beide Theorien gehen davon aus, dass es keine übernatürlichen Eingriffe in den Lauf der Evolution gibt!

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E-Mail an Thomas Waschke an Thomas Waschke Stand: 10. August 2000