Kommentar zur ZDF-Sendung "Evolution - die große Lüge?"

Einige 'strategische' Gedanken zum Umgang mit Evolutionsgegnern

Am 9. Juni 2004 strahlte das ZDF die Sendung "Evolution - die große Lüge?" aus, in der aus aktuellem Anlass (in Italien wurde versucht, Evolution vom Lehrplan der Mittelstufe zu streichen) auf der die Evolutionslehre gegen Angriffe von Kreationisten verteidigt werden sollte. Der Versuch in Italien, das Thema 'Evolution' aus den Lehrplänen für die Mittelstufe zu verbannen, hat gezeigt, dass auch hier in Europa mit diesem Forschungsgebiet, das letztendlich die Basis der gesamten Biologie bildet, aus weltanschaulichen Gründen immer noch nicht unbefangen umgegangen wird. Das ZDF hat den an sich durchaus begrüßenswerten Versuch gemacht, zu begründen, warum heutzutage in der Biologie selbstverständlich von einer Evolution ausgegangen wird. Von einer Sendung mit dem Titel "Evolution - die große Lüge?" erwartet man allerdings eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Man erhofft sich, dass die Argumente der Gegner dieser Vorstellung inhaltlich widerlegt werden. Zumindest sollte das naturwissenschaftliche Weltbild korrekt dargestellt werden.


Eine knappe Inhaltsangabe des Films findet man auf der Internet-Seite des ZDF, deshalb werden hier nur sehr schlaglichtartig die für die weitere Besprechung wesentlichen Inhalte wiedergegeben. Zunächst wurde die klassischen Evolutions'beweise' (streng genommen handelt es sich nicht um Beweise, sondern um Deutungen von Beobachtungen, die aber in der Summe die Tatsache einer Evolution äußerst wahrscheinlich machen), die auf gemeinsamen Merkmalen beruhen, an verschiedenen Beispielen mit teilweise sehr gut gelungenen Tricksequenzen veranschaulicht. Es folgte eine Darstellung des spezifisch amerikanischen Kreationismus anhand eindrucksvoller Filmausschnitte und Aussagen. Den Abschluss des Films bildete eine Darstellung des Lyssenkoismus in der Stalin-Zeit mittels historischer Schwarz-Weiß-Filmdokumente.


Als Anhänger einer naturalistischen Evolution hat mich dieser Film eher geärgert, weil er den Gegnern meiner Position viel zu viele Möglichkeiten zu berechtigter Kritik bietet. Natürlich ist gutes Edutainment, das hohen Unterhaltungswert und inhaltliche Korrektheit verbindet, schwer zu produzieren. Die Produzenten von Sendungen, die sich an Nicht-Fachleute richten, bürden sich eine hohe Verantwortung auf: sie müssen fachlich korrekte Inhalte anschaulich und interessant vermitteln. Hoimar von Ditfurth hat hier mit seiner Sendung 'Querschnitte' Maßstäbe gesetzt, die nur noch selten erreicht werden. Leider wird der Schwerpunkt immer mehr auf effekthaschende Animationen und weniger auf sachliche Korrektheit gelegt. Es ist immer wieder schmerzlich festzustellen, wie problemlos man mit guten Animationen an sich falsche Inhalte vermitteln kann. Beispielsweise sah durchaus überzeugend aus, wie ein Wolf zu einem Wal gemorpht wurde. Nach derzeitigem Wissen stammen die Wale aber von flusspferdähnlichen Ungulaten (Huftieren) ab, die mit Wölfen nicht näher verwandt sind (vgl. Kutschera 2004, 259).


Ich möchte an dieser Stelle den Film aber nicht weiter inhaltlich kritisieren, sondern auf die Kritik von Reinhard Junker von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, die am 16.6.2004 erschien, eingehen. Im Film wurden zwar nahezu ausschließlich Evolutionsgegner aus den Vereinigten Staaten erwähnt, es wurde aber darauf hingewiesen, dass es auch hier in Deutschland Vertreter derartiger Auffassungen gibt.1 Es war deshalb zu erwarten, dass sich die Vertreter von Wort und Wissen, der wohl profiliertesten Vereinigung von Evolutionsgegnern in Deutschland, zu Wort melden würden.


Über die weltanschauliche Position von Wort und Wissen, die auch für die Inhalte von GenesisNet verantwortlich ist, kann man sich ausgiebig im Internet informieren. Die konkreten Einwände gegen die gängige Vorstellung von Evolution haben Autoren, die Wort und Wissen zumindest nahe stehen, im sogenannten 'kritischen Lehrbuch' dargestellt. Man kann die Position vielleicht so charakterisieren: anerkannt wird Mikroevolution ('Optimierung') im Rahmen eines Bauplans, die Entstehung der Baupläne (Makroevolution, 'Konstruktion') ist durch die Mechanismen, die Mikroevolution erklären, nicht möglich. Hier muss ein Schöpfer eingreifen. Die Autoren machen keinen Hehl daraus, dass sie davon ausgehen, dass sie eine bestimmte Auffassung, die auf Aussagen der Bibel beruht, vertreten: Gott schuf in der Schöpfungswoche die Grundtypen, eine weitere Evolution erfolgt nur noch innerhalb dieser geschaffenen Formen.


Im Film wurden, wie schon dargestellt, vor allem die amerikanischen Kreationisten behandelt. Ganz plakativ kann man den Unterschied zu Wort und Wissen so bezeichnen: die amerikanischen Kreationisten vertreten eine 'creation science', die angeblich in der Lage ist, die Inhalte der Bibel wissenschaftlich zu beweisen, während die Vertreter von Wort und Wissen nur davon ausgehen, dass ihre Auffassungen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht widersprechen. Auf Details soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.2


Junker kritisiert, dass "kein einziges Argument der Kreationisten erwähnte wurde" und "die Kritikpunkte an der Evolutionstheorie wurden verschwiegen". In diesem Zusammenhang beklagt Junker auch, dass das 'kritische Lehrbuch', das dem ZDF vorlag, nicht berücksichtigt wurde. Im Prinzip läuft diese Forderung auf das 'teaching the controverse' (das bedeutet, dass in der Schule auch die Kontroversen innerhalb der Naturwissenschaften behandelt werden sollen) hinaus, welches vor allem in den USA von Evolutionsgegnern eingefordert wird. Hierzu ist zu sagen, dass die Kontroverse, ob es eine Evolution gegeben hat, in der Wissenschaft gar nicht besteht. Auf der Basis eines naturalistischen Weltbildes gibt es durchaus tief greifende Konflikte über die genauen Mechanismen der Evolution, das Gesamtbild ist aber derart stimmig, dass diese Kontroversen nur Details und nicht die Tatsache einer Evolution betreffen. Im Rahmen der Naturwissenschaften stellt Schöpfung keine Alternative dar und es wäre daher nicht vertretbar, im öffentlichen Fernsehen eine Kontroverse zu konstruieren, die es gar nicht gibt.


Junker erhebt auch den harten Vorwurf: "Es sieht ganz danach aus, dass der biblische Glaube an Gott als souveränen Schöpfer diskreditiert werden sollte, [ ... ]" und weiter unten: "Wenn der Film von Joachim Bublath dazu beitragen würde, die Relevanz der Ursprungsfrage für das christliche Zeugnis deutlich zu machen, hätte er einen guten Zweck erfüllt." Vollkommen korrekt hat darauf das ZDF in einem Beitrag im Forum, der sich möglicherweise auf die Kritik von Junker bezieht, geschrieben: "In der Sendung über Evolution wurden nicht die christlichen Glaubensvorstellungen abgewertet, sondern vielmehr deutlich gemacht, dass die offizielle Kirche durchaus naturwissenschaftliche Vorstellungen akzeptiert." Hier zeigt sich die Problematik des Ansatzes der Studiengemeinschaft Wort und Wissen: auf der einen Seite argumentiert sie gegen die naturalistische Wissenschaft, die keinen Gott als Wirkursache benötigt, und auf der anderen Seite gegen die Großkirchen, die für eine theistische Evolution (im Prinzip die Auffassung, dass Gott durch Evolution schafft) eintreten. Die Mitglieder von Wort und Wissen begründen ihre Ablehnung sowohl der inhaltlichen Erkenntnisse der Naturwissenschaften (wie einer alten Erde oder einer Evolution) als auch der Vorstellung einer theistischen Evolution mit theologischen Argumenten. Es handelt sich also um einen innertheologischen Konflikt, der die naturalistische Wissenschaft nicht betrifft. Auf jeden Fall wird durch die Evolutionstheorie an sich nicht das Christentum als solches, sondern nur bestimmte theologische Auffassungen "abgewertet". Vollkommen zu Recht entgegnet daher das ZDF "Kritisch zu bewerten ist das Festhalten an den wörtlichen Aussagen der Bibel, zum Beispiel die sechstägige Schöpfungsgeschichte. Solche Annahmen sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar." Es ist nach der Auffassung vieler Theologen problemlos möglich, an den Gott der Bibel und eine naturalistische Evolution zu glauben.


In der Ankündigung zu der Sendung wurde im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus gefragt: "Aber worum geht es in dieser Auseinandersetzung zwischen Glaube und Wissenschaft wirklich?" Der Text endet mit der Ankündigung: "Joachim Bublath bringt Licht in den Dschungel von Wissenschaft, Glaube und Politik und zeigt auch die Gefahren, die bei einer Vermischung dieser Bereiche entstehen können."


Junker merkt zu diesem Punkt zu Recht an, dass "aus dem Spektrum kreationistischer Strömungen nur ein winziges Segment herausgegriffen und unterschwellig als repräsentativ hingestellt" wurde. In der Sendung wurde tatsächlich nur der amerikanische Kreationismus, und aus dieser Richtung nur der 'scientific creationism', den vor allem das ICR (Institute for Creation Research) vertritt, dargestellt. Gerade diese Auffassung spielt aber in Europa kaum eine Rolle. Daher stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, den Schwerpunkt auf eine Betrachtung eben dieser Gruppe zu legen. Die Evolutionsgegner in Europa argumentieren eher auf der Linie des Intelligent Design und stellen ihre kritischen Anfragen an die Evolutionstheorie nicht auf der Basis der Aussagen der Bibel. Diese Anfragen an die Evolutionstheorie sind eher berechtigt und können auch rational diskutiert werden. Die Evolutions'beweise', die in der Sendung vorgestellt wurden, lassen sich nach Junker auch im Rahmen der Schöpfungslehre erklären: "Eine Ironie des Beitrags war übrigens, dass die Vorstellung kritisiert wurde, Gott habe wie aus einem Bauskastensystem die Lebewesen geschaffen. Später aber war im Rahmen der Darstellung der Evolutionsanschauung zweimal von einem Baukastensystem die Rede, das in der Evolution zum Einsatz komme. Wie aber hantiert die Evolution mit einem solchen Bausatz? Und wie ist er überhaupt entstanden?" Eine differenzierte Diskussion mit den deutschen Kreationisten bzw. Evolutionsgegnern ist daher nicht so einfach: diese erkennen die jeweiligen Phänomene an, bieten aber einen alternativen Erklärungsansatz. Daher müsste eher erklärt werden, warum eine naturalistische Wissenschaft viel erfolgreicher ist als eine, die sich auf Schöpfung bezieht. Das hat dann aber nur noch wenig mit Kreationismus zu tun, denn diese Schöpfungsvorstellung lässt sich mit jedem beliebigen Designer vertreten.


Aus der Sicht Junkers ergibt sich folgendes Fazit: "Joachim Bublath und sein Wissenschaftsteam haben genau das gemacht, was sie kritisierten. Sie haben einfache und verzerrende Antworten gegeben und zwar dadurch, dass sie ein Großteil dessen ihren Zuschauern vorenthielten, was zur einer ausgewogenen Präsentation gehören müsste."


Dieser Vorwurf ist nur unter der Prämisse berechtigt, dass Bublath die Evolutionstheorie nicht gegen Kreationisten, sondern gegen Evolutionsgegner allgemein verteidigen wollte. Wenn man davon ausgeht, dass Kreationisten behaupten, die Erde sei jung, es habe eine weltumspannende Sintflut gegeben und alle Lebewesen seien in der Schöpfungswoche erschaffen worden, ist Bublaths Darstellung hinreichend, um den Kreationismus zu widerlegen.


Meiner Meinung nach zu Recht wendet sich Junker gegen den Vergleich von Lyssenko und Kreationismus. Das ZDF betont zwar in seinem Beitrag im Forum "[ ... ] der Kernpunkt, durch eine von Ideologie geprägten Dogmatik einen weltweit anerkannten Zweig der Naturwissenschaften zu negieren und als falsch zu propagieren, findet sich in überraschend ähnlicher Weise im Kreationismus wieder." Selbst die 'härtesten' Kreationisten erkennen die Befunde der Naturwissenschaften in den Bereichen an, in denen reproduzierbare Experimente durchgeführt werden können ('operational science'), an. Sie wenden sich nur dagegen, dass diese auch zu Schlüssen führen könnten, die Aussagen der Bibel widerlegen. So gesehen würde sich am Wissenschaftsbetrieb in weiten Bereichen nur sehr wenig ändern, falls Kreationisten 'an die Macht' kämen. Aus diesem Grund ist es durchaus berechtigt, die Erwähnung von Lyssenko als Polemik abzulehnen.


Bei mir hat der Film insgesamt einen sehr negativen Eindruck hinterlassen, wenn man eine Verteidigung der Evolutionstheorie gegen die Einwände der hiesigen Kritiker erwartet hatte. Junker hat hier Recht, wenn er schreibt: "Moderator Bublath kritisierte die Kreationisten wegen ihrer einfachen Antworten, um selber eine Antwort zu geben, die an Einfachheit und Plattheit kaum zu überbieten ist." Die Anfragen der Evolutionsgegner wurden gar nicht erwähnt geschweige denn widerlegt. Auf Menschen, die unentschieden sind, wirkt das als ein Zeichen der Schwäche. Zugunsten bunter Bilder wurde das konkrete Eingehen auf Argumente vernachlässigt. Es ist zu einfach, sich aus der Menge der Gegner den primitivsten herauszupicken und zu widerlegen. Ich finde es auch nicht angebracht, eine Sachdiskussion durch Fallbeispiele zu belasten, die zu leicht als polemische Diffamierung abgetan werden können. Eine verpasste Chance.

 


Anmerkungen

 

1In der Dokumentation der Sendung findet sich folgende Angabe: "Vor allem in den USA verstärkt sich der politische Druck, den Kreationismus immer weitergehender in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen. Vor kurzem wurden solche Versuche auch in Italien unternommen und auch in Deutschland versuchen Kreationisten Land zu gewinnen - über Bücher, die in Schulen eingeschleust werden sollen."

2Ausführliche Darstellungen zu Kreationismus und ID.

 



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21. Juni 2004
21. Juni 2004