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Grundsätzliche Problematik
Der Verein 'Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft' (LDEZ)
Warum wurde das 'kritische Lehrbuch' ausgewählt?
Begründung für die Auszeichnung
Angaben der Herausgeber des 'kritischen Evolutionsbuchs'
Fazit

Vorbemerkung

Eine eingehende Analyse der wissenschaftstheoretischen Hintergründe setzt sehr viel Hintergrundwissen voraus. Es gibt auch innerhalb der Wissenschaftstheorie divergierende Ansätze, auf die an dieser Stelle selbstverständlich nicht eingegangen wird. Viele grundsätzliche Fragen sind auch in diesem Bereich immer noch nicht geklärt. Vielleicht sollten Sie auf jeden Fall mein 'Glaubensbekenntnis' lesen, um beurteilen zu können, auf welcher weltanschaulicher Grundlage dieser Text verfasst wurde. Um den Text lesbar zu halten habe ich eher allgemeine Ausführungen in andere Texte ausgegliedert. Damit der Text möglichst verständlich wird, habe ich an vielen Stellen Links auf andere Texte oder auch Erklärungen gesetzt.

Grundsätzliche Problematik

Schöpfungs'forschung' ist eine Bezeichnung für eine Disziplin, die es gar nicht gibt. Es wird vollkommen unzutreffend eine Dichotomie zwischen Evolution und Schöpfung aufgebaut, die so gar nicht existiert. Sowohl im Bereich der Evolution als auch der Schöpfungsvorstellungen gibt es jeweils eine Fülle sich gegenseitig widersprechender Ansätze und die Grenzen sind fließend. Wo sollte man in in dieser Dichotomie beispielsweise eine theistische Evolution einordnen? Oder Entelechien?

Für einen Leser, der mit den Ansätzen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen vertraut ist, ist zudem verwunderlich, dass deren genuin kreationistischer Ansatz in diesem Buch praktisch nicht vorkommt. Man findet zwar ab und an in Nebensätzen Hinweise auf die Bibel, die 'harten Fakten' des kreationistischen Ansatzes (junge Erde, weltweite Flut, Schöpfungswoche) fehlen aber so gut wie vollständig. Die Argumentation bewegt sich lediglich im Rahmen des ID-Ansatzes.

Die Alternative lautet eigentlich nicht Evolution oder Schöpfung, sondern Naturalismus oder Supranaturalismus. Die (Natur)Wissenschaften vertreten einen methodischen Naturalismus, keinen ontologischen. Letztendlich geht es darum, ob es jenseits der immanenten Erklärung der Welt noch Ansätze gibt, die mehr erklären können. Um diese Frage aber entscheiden zu können, wäre eine ausformulierte Alternative zwingend erforderlich. Kreationisten haben das in gewissem Umfang getan. Diese prüfbaren Aussagen wurden geprüft und widerlegt. ID hingegen verbleibt im nebulösen Unverbindlichen. Bisher gibt es nur 'Lückenbüßer-Ansätze': bestimmte Details der naturalistischen Forschung werden widerlegt oder doch zumindest prinzipielle Erkenntnisgrenzen aufgezeigt. Was aber fehlt, ist, wie es nun weitergehen soll. Derartige Ansätzen müssten prinzipiell in prüfbaren Aussagen bestehen, die Antworten auf Fragen wie 'Wann hat wo welcher Schöpfer wie was geschaffen?' geben. Merkwürdig ist nun, dass ausgerechnet Kreationisten auf die 'schwächere' Version von Schöpfungsvorstellungen rekurrieren, die, selbst wenn sie zutreffen würde, die eigentliche Position prinzipiell gar nicht stützen kann.

2. Empirische Wissenschaften

Naturwissenschaften befassen sich mit Sachverhalten und Ereignissen, die prinzipiell jederzeit feststellbar bzw. wiederholbar (reproduzierbar) sind und unabhängig vom Beobachter bzw. Experimentator eintreffen. Beobachtung und Experiment sind die Grundlage jeder naturwissenschaftlichen Arbeit. Dabei müssen Beobachtungs- und Versuchsbedingungen genau angegeben werden. [Hervorhebung im Original, T.W.] (Junker, R.; Scherer, S.; (Hrsg.), 2001 <lit 2747>: 12 <not 6621>)

Wissenschaft wird hier in meinen Augen unzulässig eingeschränkt, wenn auf Reproduzierbarkeit abgehoben wird. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass (Natur)wissenschaften nicht durch Inhalte, sondern eher durch Methoden definiert werden. Dazu gehören beispielsweise Naturalismus, Realismus, Sparsamkeitsprinzip, das genetische Prinzip, die üblichen Methodologie usw. Auf welche Gegenstände diese Methodik angewandt wird, scheint mir eher nebensächlich zu sein. Unterschiedlich ist natürlich der Grad der Sicherheit der jeweils erzielbaren Erkenntnisse. Selbstverständlich wird man Systeme, die reproduzierbare Experimente zulassen, besser erforschen können als solche, die man nur beobachten kann oder gar solche, bei denen man auf Zufallsbefunde angewiesen ist. Prinzipiell lassen sich aber auch historische Vorgänge genauso erforschen wie chemische Reaktionen. Auf jeden Fall ist das mit den oben angedeuteten Verfahren gewonnene Wissen das sicherste, das uns Menschen möglich ist. Bisher konnte noch niemand zeigen, dass es andere Methoden der Erkenntnis gibt bzw. dass auf diese Weise intersubjektiv gültige Aussagen erzielt werden.

3. Grenzen der empirischen Wissenschaften

Selbstverständlich gibt es Grenzen für die Methoden der empirischen Wissenschaften. Die in der Textbox erwähnten Träume sind ein gutes Beispiel. Nicht zutreffend ist aber, dass es noch andere Erkenntnismöglichkeiten gibt. Die Frage, ob 'ich liebe dich' zutrifft, kann vermutlich überhaupt nicht erkannt werden. Oder falls doch, dann auf die selbe Art und Weise, wie man in den Naturwissenschaften zu Erkenntnissen gelangt: man formuliert eine Hypothese ('X liebt mich') und leitet daraus prüfbare Aussagen ab ('X wird sich in der Situation z so und so verhalten'). Es trifft nicht zu, dass nur reproduzierbare Ereignisse so untersucht werden können. Selbstverständlich erreicht man, je nach den zur Verfügung stehenden Methoden, mehr oder weniger zuverlässige Aussagen. Ein prinzipieller Unterschied besteht jedoch nicht.

Das im Text erwähnte Beispiel von den Träumen verdeutlicht die Grenzen der naturwissenschaftlichen Methode. Auch kann alles, was sich im persönlichen (subjektiven) Bereich der Wirklichkeit ereignet, nicht mit dieser Methode erfaßt werden; dennoch wird an der Realität dieses Wirklichkeitsaspektes ebensowenig gezweifelt wie an dem, der naturwissenschaftlich erfaßbar ist.
Die Erkenntnismethode der Naturwissenschaft ist also nicht die einzige Erkenntnismöglichkeit. Zutreffende Erkenntnisse können auch durch persönliche Mitteilungen gewonnen werden, z.B. durch den Satz 'Ich liebe dich'. Naturwissenschaft kann daher keinen universalen Erklärungsanspruch erheben, was Erkenntnisgewinnung betrifft. Die Aussagemöglichkeiten der Naturwissenschaft sind im Grunde genommen sehr eingeengt, da sie sich auf reproduzierbare Ereignisse beschränken müssen. Einmalige Geschehnisse sind aber auch wesentliche Aspekte der Wirklichkeit [ ... ]. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 12 <not 6622>)

Diese Schilderung ist durchaus zutreffend. Sie zeigt die Grenzen der (natur)wissenschaftlichen Erkenntnis auf. Es gibt nun Autoren, die behaupten, dass es andere Methoden gibt, die noch weiter führen könnten. So behaupten beispielsweise amerikanische Kreationisten, dass die Bibel als geoffenbartes Wort Gottes Wahrheiten verkünde, die sicherer seien als naturalistische Befunde. Diese Aussagen sind aber nicht mehr naturwissenschaftlich prüfbar und können daher nur noch geglaubt werden. Es sei denn, aus diesen Offenbarungen werden konkrete Aussagen abgeleitet, die geprüft werden können.

Auf diesem Wege sind nun aber keine Wahrheiten zu finden. Bestenfalls kann man von einer Theorie sagen, daß sie nicht im Widerspruch zu den Daten steht, niemals aber, daß sie als unwiderruflich wahr erwiesen werden kann. Denn ein einziger empirischer Befund, welcher einer Theorie widerspricht, macht sie in ihrer bisherigen Form zunichte. Es ist möglich, daß eine Theorie, die sich schon lange und oftmals bewährt hat, aufgrund weiterer Befunde geändert oder sogar aufgegeben werden muß. Beispiele dafür wurden bereits weiter oben genannt. Es ist also sozusagen vernünftig, an die Gültigkeit einer bewährten Theorie zu glauben, diese aber nicht für streng bewiesen zu halten. Dazu bemerkt der dtv-Atlas zur Biologie (1994, S. 1):
"Jeder Wissenschaftszweig beschränkt sich auf den Bereich, aus dem er objektive Daten ermitteln kann... Naturwissenschaft fragt also nicht, ob ihre Aussagen in einem metaphysischen Sinne 'wahr' sind, sondern nur, ob sie in keinem Widerspruch zu objektiven Daten und logischen Verbindlichkeiten stehen." (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 16 <not 6630>)

4. Begründung für Schöpfungsvorstellungen

Die Autoren gehen davon aus, dass Fehlschläge der kausalen Evolutionsforschung das Postulat einer Schöpfung nahelegen. Die Motivation zum Verfassen dieses Buchs beruht vermutlich auf dieser Strategie: aufzeigen, dass die Erklärungsmodelle der kausalen Evolutionsforschung (nebenbei: wird hier eingeräumt, dass Schöpfungsforschung nicht kausal ist?) nicht tragfähig sind, um so Platz für das Postulat einer Schöpfung zu schaffen. Aufschlussreich ist auch die folgende Passage: Schöpfungsvorstellungen werden "zweifellos durch andere Quellen (Offenbarung) begründet" (S. 19). Erfreulicherweise räumen die Autoren dieses Buchs diesen Sachverhalt unumwunden ein. Andere Vertreter der ID-'Theorie' versuchen nämlich zu behaupten, dass ID von jeglicher Offenbarung unabhängig ist. Wenn es nun aber zutrifft, dass Offenbarung nur geglaubt oder abgelehnt werden kann, scheint mir das auch für Schöpfungsmodelle zu gelten. Das trennt sie aber ganz massiv von naturalistischen Modellen: die gelten auch, wenn man nicht an sie glaubt.

Den Terminus 'Grenzüberschreitung' für diesen Sachverhalt zu verwenden und dabei anzudeuten, dass der Naturalismus ähnlich vorgehen soll, ist problematisch. Der Naturalismus geht weder von einer Offenbarung aus, noch gründet er auf dem Scheitern von Schöpfungsmodellen. Er stellt schlicht und ergreifend die bisher erfolgreichste Heuristik für naturwissenschaftliche Forschung dar.

Fehlschläge bei den Erklärungsmodellen der kausalen Evolutionsforschung können (neben anderen Gründen, -> VII.17.5) das Postulat einer Schöpfung im Sinne eines plötzlichen Auftretens der Lebewesen (Abb. 1.7) nahelegen. Obwohl empirische Daten Schöpfungsanschauungen motivieren können, werden diese zweifellos durch andere Quellen (Offenbarung) begründet. Der Bezug auf Offenbarung beinhaltet eine Grenzüberschreitung, die ebenfalls über den Rahmen des empirisch Begründbaren hinaus führt. Offenbarung kann nur geglaubt oder abgelehnt werden. Viele Schöpfungsanschauungen gehen von konkreten Vorgaben zur Geschichte der Lebewesen aus, die sich auf die biblische Überlieferung stützen. Darauf wird in Teil VII eingegangen.

Auch die in der folgenden Passage eingeforderte Gleichwertigkeit zeigt deutlich die Grenzen des Ansatzes der Autoren: nur innerhalb des Deutungsrahmens der Offenbarung ist empirische Forschung möglich. Das ist ein Euphemismus für Denk- bzw. Forschungsverbote. Niemand bezweifelt auch, dass in diesem Rahmen eine Rekonstruktion versucht werden kann. Die Frage ist aber, was daraus folgt, dass diese erfolgreich ist, wenn man von vorneherein alles ausblendet, das den Deutungsrahmen der Offenbarung sprengen könnte.

Innerhalb eines durch Offenbarung gegebenen Deutungsrahmens ist wie im Rahmen der Evolutionslehre empirische Forschung möglich; auch auf dieser Basis kann eine Rekonstruktion der Naturgeschichte versucht werden. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 19 <not 6633>)

5. Wissenschaft als System

Ein wesentlicher Mangel der Darstellung besteht darin, dass nicht verdeutlicht wird, dass die naturalistische Forschung ein Gesamtsystem darstellt, dessen einzelne Bereiche sich gegenseitig stützen und auf die aufgebaut werden kann. Das ist allerdings aufgrund des unzureichenden Theorie-Begriffs nicht weiter verwunderlich.

So ist beispielsweise die Evolutionsforschung in eine ganze Reihe weiterer Disziplinen eingebunden. Die Geologie lehrt beispielsweise, dass die Erde alt ist. Aus der Chemie kommen Anregungen, wie Abiogenese verlaufen sein könnte. Aus der Systematik kann gefolgert werden, dass die Lebensformen ein enkaptisches System bilden. Auch wenn nun bestimmte Aussagen eines Wissenschaftsbereichs Probleme für die Evolutionsforschung darstellen, so bedeutet das noch lange nicht, dass diese Vorstellung aufgegeben werden muss, denn sie wird ja weiter durch eine Fülle anderer Bereiche gestützt. Die Evolution kann daher nicht wie eine Hypothese durch einen isolierten Befund falsifiziert werden.



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Abbildung S. 18 aus Mahner, M. (1990) '"Wissenschaftlicher Kreationismus" Eine Pseudowissenschaft mit religiösem Hintergrund' Skeptiker 3/90:15-20, mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.

Dieser Einbau in eine Netz sich wechselseitig stützender Bereiche fehlt im Falle der Schöpfungs'forschung' oder gar des Kreationismus vollständig. Es wird zwar immer wieder versucht, einzelne Befunde im Licht dieser Vorstellung zu interpretieren (beispielsweise Gesteinsformationen unter der Annahme einer weltweiten Flut), aber das sind bestenfalls Mosaiksteinchen, aus denen sich kein Bild konstruieren lässt.

6. Theoriebegriff

In diesem Bereich ist vermutlich das zentrale Defizit des vorgestellten Ansatzes zu suchen. Wenn beispielsweise Evolution als Theorie bezeichnet wird und dann davon ausgegangen wird, dass das dasselbe ist wie eine Hypothese, die man durch einen experimentellen Befund falsifizieren kann, kommt man leicht zu der Frage, wann man denn endlich aufgrund bestimmter experimenteller Daten die Evolutionsvorstellung aufgeben soll. Erst wenn klar wird, dass es sich bei der Evolutionsvorstellung letztlich um eine Konsequenz des naturalistischen Ansatzes, der ja eine Weltanschauung ist, handelt, wird deutlich, dass Versuche, durch Widerlegung einzelner Teiltheorien eine Aufgabe dieses Weltbilds zu erreichen, prinzipiell scheitern müssen. Erst wenn eine Alternative ausformuliert ist, die erklärungsmächtiger ist, kann eventuell ein Paradigmenwechsel erfolgen.

Oft wird zwischen 'Hypothese' und 'Theorie' unterschieden. Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen beidem gibt es allerdings nicht. Gewöhnlich wird eine Hypothese, die sich mehrfach bewährt hat, in den Rang einer Theorie erhoben. Die Bezeichnung 'Theorie' verwendet man auch, wenn eine Hypothese mehrere, bisher 'selbständige' Teilhypothesen umfaßt. Die Vorläufigkeit der Geltung ist für Theorien genauso wie für Hypothesen gegeben. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 14 <not 6626>)

Die Autoren gehen explizit davon aus, dass es keinen Unterschied zwischen 'Theorie' und 'Hypothese' gibt und dass eine 'Theorie' in etwa eine bestätigte Hypothese ist. Ein Schritt in die richtige Richtung ist immerhin, dass 'Theorie' auch im Sinn von 'Hypothese, die mehrere Teilhypothesen umfasst' verwendet wird. In der modernen Wissenschaftstheorie wird 'Theorie' allerdings meist anders definiert, beispielsweise bei Mahner und Bunge:

Eine Theorie ist somit ein hypothetiko-deduktives System, ein System von Hypothesen, die durch die logische Relation der Deduktion miteinander in Beziehung stehen. (Mahner; Bunge 2000 <lit 2457>: 81 <not 6634>)

Theorien sind also komplexe Systeme, die viele Hypothesen zusammenfassen und organisieren. Daher werden sie auf vollkommen andere Art und Weise getestet als Hypothesen. Es allerdings einzuräumen, dass der Begriff 'Theorie' in der naturwissenschaftlichen Fachliteratur oft im Sinn von 'geprüfter Hypothese' verwendet wird. Die grundsätzliche Kritik bleibt davon aber unberührt.

Die Autoren erwähnen beispielsweise, unter der Überschrift 'Was ist eine gute Theorie?', dass die Hypothese von der Universalität des genetischen Codes in ihrer umfassenden Form aufgegeben werden musste (S. 15). Das hat mit der Widerlegung einer Theorie genauso wenig zu tun wie die Einschränkung der Mendelschen Erbgesetze (S. 15). In beiden Fällen wurde lediglich eine mehr oder weniger isolierten Hypothese in Form eine Allsatzes ('der genetische Code gilt universell', 'die Mendelschen Gesetze gelten universell') in dem Sinne widerlegt, dass gezeigt wurde, dass es eben doch Ausnahmen gibt. Die dahinter stehende Theorie, 'Gentheorie der Vererbung' hingegen, ist von einer vollkommen anderen Struktur. Sie umfasst sowohl die Mendelschen Gesetze als auch den genetischen Code. Auch wenn die aus der 'Gentheorie der Vererbung' abgeleiteten Prüfaussagen, beispielsweise 'der genetische Code gilt universell' nicht zutreffen, so ist doch die Gentheorie durch andere Teilhypothesen so gut gesichert, dass ihr Status durch ein Scheitern dieser speziellen Prüfhypothese nicht tangiert wird. Noch weniger gilt das für die noch umfassendere Evolutionstheorie.

Wenn man 'Theorie' in dem obsoleten Sinne definiert wie das die Autoren des 'Evolutionsbuchs' tun, sind derartige Überlegungen gar nicht möglich.

7. Falsifizierbarkeit



Wenn man von einem defizitären Theorie-Begriff ausgeht, sind auch Überlegungen zu Falsifizierbarkeit wenig sinnvoll.

In einer Textbox schreiben die Autoren

Falsifizierbar oder nicht?
Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern ist der Meinung, daß das Leben auf der Erde nicht in 'Ursuppen' entstanden sein könne, sondern durch außerirdische Lebensformen seinen Anfang nahm, daß also die Erde sozusagen durch Keime aus dem Weltraum 'infiziert' wurde. Diese Hypothese ist zwar interessant, derzeit aber wohl kaum prüfbar und daher vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus wenig wert.
Auch die Annahme, daß ein Schöpfer die erste Zelle in voller Funktionsfähigkeit erschaffen habe, ist in dieser allgemeinen Form empirisch nicht prüfbar und somit keine wissenschaftliche Theorie. Sie muß wie jede andere Vorstellung durch Ableitung konkreter Schlußfolgerungen einer (indirekten!) Prüfung zugänglich gemacht werden (-> Abb. 1.8;VII.15).
Die Behauptung, daß Leben im Prinzip durch natürliche Vorgänge unter Ursuppenbedingungen entstehen könne, ist dagegen z.T.empirisch prüfbar und erfüllt damit ein wichtiges Kriterium für wissenschaftliche Theorien. In IV.8 wird gezeigt, inwiefern sich diese Theorien experimentell bewähren. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 15 <not 6629>)

Hypothesen sind nach Mahner / Bunge

Wir bezeichnen nur überlegte, explizit formulierte und prüfbare Vermutungen als (wissenschaftliche) Hypothesen. (Mahner; Bunge 2000 <lit 2457>: 76 <not 6635>)

Selbstverständlich gehört die Panspermie in diese Gruppe. Sie ist wohlüberlegt in dem Sinn, dass sie mit dem Großteil unseres Hintergrundwissens übereinstimmt, man kann sie explizit formulieren. Man kann aus dieser Hypothese durchaus Vorhersagen ableiten, die prüfbar sind: man müsste beispielsweise organische Chemikalien im Weltall finden, derartige Moleküle müssten unter Weltraumbedingungen stabil sein etc. Derartige Beobachtungen wurden durchaus gemacht. Auch hier findet der Versuch statt, 'Wissenschaft', oder doch zumindest Naturwissenschaft, auf bestimmte Bereiche zu beschränken.

Fairerweise räumen die Autoren wenigstens ein, dass die Erschaffung der ersten Zelle genauso wenig prüfbar ist. Ob ein Schöpfer zum Hintergrundwissen gehört, vermag ich nicht zu beurteilen, ich fand aber bisher noch keine explizit formulierte Hypothese, wie ein Schöpfer die erste Zelle geschaffen haben soll. Interessant wäre, welche konkreten Prüfaussagen aus dieser Hypothese abgeleitet werden, die scheitern können. Auf die Hypothese einer Abiogenese, die im Rahmen der Theorie einer allgemeinen Evolution vertreten wird, trifft das natürlich zu. Schon der Versuch der Autoren, zu zeigen, dass sich derartige Hypothesen (die Autoren reden von 'Theorien') widerlegen lassen, beweist das.

Auf jeden Fall kann weder die Panspermie noch die Schöpfungsvorstellung selber falsifiziert werden. Letztlich sind nur mit Prüfaussagen, die aus diesen Theorien abgeleitet werden, falsifizierbar.

Grundsätzlich ist noch zu sagen, dass Falsifizierung sowohl der Psychologie als auch der Forschungspraxis widerspricht. Üblicherweise findet man in der Literatur eher Formulierungen, mit denen Auffassungen bestätigt als widerlegt werden. Letztendlich beruht die Bedeutung dieses Ansatzes auf der Asymmetrie, dass man Allsätze durch noch so viele empirischen Untersuchungen, die eine Vermutung stützen, nicht verifizieren, aber durch ein einziges Experiment, das scheitert, falsifizieren kann. Das gilt aber nur für idealisierte Systeme. Im konkreten Fall ist meist gar nicht so klar, was eigentlich eine Falsifikation ist. Man sollte daher besser Prüfbarkeit als Kriterium für Wissenschaftlichkeit einfordern: Aussagen sollten wenigstens prinzipiell an der Erfahrung scheitern können.

8. Gang der Wissenschaft

Beispielsweise wird in IV.8 gezeigt, daß auch nach über 40 Jahren weltweit vorangetriebener intensiver Bemühungen keine Antworten vorliegen, wie Leben aus Nichtleben (also abiogenetisch, z. B. in Ursuppen) entstanden sein könnte. Diese Einschätzung wird von vielen Naturwissenschaftlern geteilt, die selbst auf diesem Gebiet geforscht haben. Welche Schlußfolgerung ist daraus zu ziehen? Wird das Forschungsziel 'natürliche Erklärung der Entstehung des Lebens' aufgegeben? In IV.7 wird erläutert, daß durch die bekannten Evolutionsmechanismen die Entstehung komplexer biologischer Strukturen aus einfachen Vorläufern bisher nicht erklärt wird. Setzen wir den Fall, daß über diese Aussagen auf wissenschaftlicher Ebene Einigkeit zu erzielen wäre: Welche Konsequenzen hätte dies? Würden die Evolutionstheoretiker bereit sein, die naturalistische Grundvoraussetzung der Evolutionslehre in Frage zu stellen? (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 19 <not 6636>)

An dieser Stelle soll nicht untersucht werden, inwiefern die Aussage, dass keine Antworten auf die Problematik der Abiogenese vorliegen, faktisch zutreffend ist. Hier geht es eher darum, ob diese Aussage überhaupt Sinn macht. Unter der Annahme, dass Hypothese gleich Theorie ist, dass die Hypothese 'es kann gezeigt werden, wie aus Nichtleben Leben entsteht' in dem Sinn 'falsifiziert' wurde, dass die konkreten Prüfaussagen widerlegt wurden, und man an eine Offenbarung glaubt, macht die zitierte Passage Sinn. Wenn man aber die Abiogenese als eine Teiltheorie der Evolutionslehre auffasst, die im Rahmen des Naturalismus vertreten wird, ist gar nicht zu erwarten, dass das Gesamtsystem, das durch viele unabhängige Befunde vieler Teiltheorien gestützt wird, aufgegeben werden soll, nur weil in einem Teilbereich noch offene Fragen bestehen.

Die Erfahrung zeigt, daß das Scheitern evolutionärer Erklärungsansätze in aller Regel nicht dazu führt, das Forschungsziel einer naturalistischen Erklärung der Entstehung des Lebens aufzugeben. Dafür scheint es nur eine Begründung zu geben: Es ist die weltanschaulich motivierte Grundüberzeugung, daß es trotz aller bisherigen Fehlschläge doch möglich sein wird, die Entstehung und Entfaltung des Lebens ohne übernatürliche Ursachen zu erklären. Diese Grundüberzeugung ist nicht empirisch begründet, sondern Ausdruck einer weltanschaulichen Grundsatzentscheidung und damit eine Grenzüberschreitung. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 19 <not 6637>)

Die Erfahrung, die die Autoren gemacht haben, sind durchaus zutreffend. Natürlich gibt es die wohlbegründete Überzeugung, dass eine Erklärung ohne übernatürliche Ursachen möglich sein wird. Bisher hat noch niemand irgendeine Erklärung, die diesen Namen verdient, in irgendeinem Gebiet auf andere Weise aufzeigen können. Diese Grundüberzeugung ist sogar empirisch gesichert: es zeigt sich, dass naturalistisch gewonnene Erklärungen intersubjektiv gelten und sogar anerkannt werden. In allen chemischen Labors auf der ganzen Welt steht H2O auf den Wasserflaschen, weil die naturalistische Erklärung für diese Formel allgemein anerkannt wird. Die Menschen, die diese Flaschen verwenden, können sich aber nicht darauf einigen, ob Gott dreifaltig ist oder Allah heißt. Eben aus dem Grund, weil auf andere Art und Weise eben keine intersubjektiv gültigen Erkenntnisse gewonnen werden können. Es stimmt zwar, dass die Entscheidung für den Naturalismus eine weltanschauliche Grundsatzentscheidung ist, aber sie lässt sich wohl begründen. Kreationisten sollten sich in diesem Zusammenhang fragen, warum sie ihre Weltanschauung, die so stichhaltig widerlegt ist, wie das im Rahmen der empirischen Forschung nur irgendwie möglich ist, weigern, ihre Haltung aufzugeben.

9. Naturalismus

Methodischer Atheismus
Im Bereich der experimentellen Wissenschaften wird auf der Basis des 'methodischen Atheismus' gearbeitet: Experimente oder Studien im Freiland werden unter der Annahme durchgeführt, daß empirisch erfaßbare Vorgänge nicht von übernatürlichen Ursachen beeinflußt werden. Zugrunde liegt die Vorstellung einer Regelhaftigkeit von Naturvorgängen. Der Anwendungsbereich des methodischen Atheismus ist der empirisch (experimentell) zugängliche Bereich der Wirklichkeit. Beispielsweise kann experimentell geprüft werden, ob zur Photosynthese Kohlendioxid erforderlich ist. Methodischer Atheismus heißt in diesem konkreten Fall, daß ein Faktor (hier: Anwesenheit bzw. Menge von Kohlendioxid) variiert wird und die nachfolgenden Reaktionen registriert werden (Faktorenanalyse). Zur Klärung der Frage werden also keine zusätzlichen Faktoren benötigt. Damit bezieht sich der methodische Atheismus in den Naturwissenschaften in erster Linie auf gegenwärtig ablaufende Vorgänge, die eine Faktorenanalyse ermöglichen.
Der methodische Atheismus war und ist insofern erfolgreich, als er eine Fülle von Erkenntnissen ermöglichte. Wegen der damit verbundenen methodischen Festlegung und Beschränkung wird allerdings nur die regelhafte und empirisch zugängliche Seite von Phänomenen erfaßt. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 18 <not 6638>)

Diese Aussage stimmt nur bedingt. 'Methodischer Atheismus' ist zu einseitig, denn zu 'übernatürlichen Vorgängen' würden auch Entelechien, Naturgeister, deistische Designer etc. zählen, die nichts mit einem personal gedachten christlichen Gott zu tun haben. Korrekt ist daher, von methodischem Naturalismus zu sprechen. Die Autoren räumen auch ein, dass dieser Ansatz extrem erfolgreich war und ist. Problematisch ist natürlich der Hinweis darauf, diesen Ansatz auf "gegenwärtig ablaufende Vorgänge, die eine Faktorenanalyse ermöglichen", zu beschränken. Es mag sein, dass so nur die "regelhafte und empirisch zugängliche Seite von Phänomenen erfaßt' werden kann. Die Frage ist aber, ob es irgendeine Möglichkeit gibt Phänomene anders zu erfassen, wenn man den Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit erhebt. Bisher konnte das noch niemand zeigen.

Wie in I.1.2 erläutert, können einmalige, vergangene Vorgänge jedoch nicht experimentell oder durch direkte Naturbeobachtung untersucht werden. Es handelt sich um einen andersartigen Erkenntnisgegenstand, der - weil vergangen und unwiederholbar - nicht durch eine Faktorenanalyse (s. o.) untersucht werden kann. Denn es ist hier nicht wie im Experimentalrahmen möglich, zwei Testreihen mit variablen Randbedingungen durchzuführen: einmal unter der Annahme einer direkten Schöpfung und einmal ohne diese Annahme. Diese Annahmen müssen vielmehr als Grundüberzeugungen vorgegeben werden. Im Bereich der Rekonstruktion der Naturgeschichte muß immer eine inhaltliche Vorentscheidung getroffen werden. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 18 <not 6639>)

Die Autoren sind durchaus bereit, die Ergebnisse von naturalistischen Faktorenanalysen anzuerkennen. Sie versuchen aber, davon auszugehen, dass diese auf einmalige und vergangene Erkenntnisgegenstände nicht anwendbar sei. Auch das ist nur im Rahmen des Wissenschaftsverständnisses der Autoren vertretbar. Wenn man davon ausgeht, dass das Wesen der Wissenschaft darin besteht, aus Theorien Prüfaussagen abzuleiten und diese zu testen, dann ist die naturalistische Vorgehensweise selbstverständlich auch auf vergangene und sogar einmalige Vorgänge anwendbar. Es handelt sich dann eben um Retrodiktionen und irgendwelche Daten sind genauso aussagefähig wie die Ergebnisse von Experimenten. Es mag zutreffen, dass der Grad an Sicherheit, den man so erreichen kann, geringer ist als der von Experimenten. Einen grundsätzlichen Unterschied gibt es aber nicht.

Was soll man aber von der These, dass es nicht möglich ist, "zwei Testreihen mit variablen Randbedingungen durchzuführen: einmal unter der Annahme einer direkten Schöpfung und einmal ohne diese Annahme", halten? Wie soll das gehen? Das müsste, falls das gehen sollte, doch problemlos auch bei Faktorennalysen hier und heute möglich sein: ein Versuchsansatz mit der Annahme eines Schöpfers und einer ohne. Das wäre sogar ein 'experimentum crucis': man könnte so herausfinden, ob es einen Schöpfer gibt. Dazu müsste die Schöpfungsvorstellung allerdings so klar formuliert sein, dass sie scheitern kann. Mit der Tatsache, dass man mit anderen Erkenntisgegenständen " weil vergangen und unwiederholbar" nicht experimentieren kann, hat das überhaupt nichts zu tun.

Es stimmt zwar, dass der Naturalismus als Vorentscheidung vorgegeben werden muss, aber im Gegensatz zu Schöpfungsvorstellungen, die ja, wie die Autoren einräumen, auf Offenbarung, also Inhalten beruhen, sind das eben vor allem strukturelle Vorentscheidungen (allerdings werden bestimmte Entitäten als Wirkursachen ausgeschlossen, was man als inhaltliche Forderung werten kann). Und genau das ist auch der Grund, weshalb naturalistische Forschung und Schöpfungsansätze eben nicht gleichwertig sind. Die 'Grenzüberschreitung' des Naturalismus besteht lediglich darin, dass er sich, wohlbegründet, methodisch auf eine Reihe von Postulaten festlegt. Die 'Grenzüberschreitung' einer wie auch immer gearteten Schöpfungsvorstellung beruht darin, dass sie einen Inhalt postuliert, den sie nicht aufzeigen kann.

Daher ist auch folgende Aussagen nicht haltbar:

Wie bereits dargelegt, kommt keine der beiden Sichtweisen (Evolution, Schöpfung) ohne Grundvoraussetzungen (Prämissen) aus. In diesem Sinne sind allgemeine Evolutions- und Schöpfungsvorstellungen vergleichbar und zunächst ist keine der beiden 'wissenschaftlicher' als die andere. Beide Sichtweisen beinhalten letztlich Grenzüberschreitungen, weil ihre Grundlagen außerwissenschaftlicher (metaphysischer, philosophischer, weltanschaulicher, religiöser) Art sind (Abb. 1.6). (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 20 <not 6640>)

Zutreffend ist noch, dass keine Sichtweise ohne Prämissen auskommt, und in dieser Hinsicht sind alle Auffassungen vergleichbar: uns Menschen ist keine direkte und unmittelbare Erkenntnis gegeben (zumindest keine, die man intersubjektiv gültig aufzeigen kann). Daraus aber zu folgern, dass diese Modelle vergleichbar im Sinne von gleichwertig sind, ist schlicht abseitig. Während, wie oben schon dargestellt, im Bereich des Naturalismus wohlbegründet eine Methode vorausgesetzt wird, die hinsichtlich jeglichen Inhalts zumindest prinzipiell offen ist, setzen Schöpfungsvorstellungen Rahmen voraus, die sie nicht begründen können und die die freie Forschung behindern. Das zeigt sich auch daran, dass auch Schöpfungs'wissenschaftler' zumindest im Bereich der Naturwissenschaften durchaus naturalistisch arbeiten.

In diesem Sinne wird auch von Abstammungs- oder Evolutionslehre einerseits und Schöpfungslehre andererseits gesprochen. Da die meisten Schöpfungslehren Bezug auf Offenbarung nehmen, ist die dort vorgenommene Grenzüberschreitung allerdings von anderer Art als die der Evolutionslehre (-> VII. 15.3). (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 20 <not 6641>)

Die Autoren erwähnen diesen wesentlichen Unterschied kommentarlos in einem Nebensatz, obwohl gerade wegen dieses Unterschieds von einer Gleichwertigkeit nicht mehr gesprochen werden kann.

Beide Sichtweisen beinhalten aber auch in großem Umfang naturwissenschaftliche Aspekte, insofern sie sich auf empirische Befunde berufen. Ihre Aussagen dürfen allerdings nicht im Widerspruch zu den Daten stehen (-> I.1.1). (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 20 <not 6642>)

Diese Passage ist extrem problematisch. In dem vorliegenden Buch vertreten die Verfasser nicht die konkreten Aussagen, die sie aus ihrer theologisch motivierten wortwörtlichen Interpretation bestimmter Passagen der Bibel ableiten (junge Erde, weltweite Flut, Schöpfungswoche), sondern eine eher nebulöse Version der ID-'Theorie'. Nach den Kriterien, die in der obigen Passage genannt werden, ist die konkrete Auffassung der Autoren nicht vertretbar: sie steht im Widerspruch zu den Daten. Die zweite Auffassung ist auch nicht besser, denn sie beinhaltet keine naturwissenschaftlichen Aspekte.

Noch deutlicher lässt sich das anhand der folgenden Passage zeigen:

Wichtig im Sinne des Erkenntnisfortschritts ist, daß testbare Fragestellungen in die Diskussion eingebracht werden, die zu einem Wissenszuwachs führen (Abb. 1.8). Das ist auch im Rahmen der Schöpfungslehre der Fall, wie beispielsweise die Grundtypenbiologie (-> 11.3) belegt, die im Rahmen der biblischen Schöpfungslehre motiviert und ausgearbeitet wurde (vgl. auch VII.17.2+3). (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 20 <not 6643>)

Es reicht nicht, testbare Fragestellungen in die Diskussion einzubringen, die Fragestellungen müssen Tests für die eigene Auffassung sein. Was wird denn beispielsweise durch die Grundtypenbiologie getestet? Natürlich kann man 'Grundtypen' klar definieren und Versuche anstellen. Was bedeutet es aber, wenn man Grundtypen findet? Ist das ein Hinweis auf Schöpfung? Grundtypen lassen sich problemlos in die Deszendenzlehre einbauen: es bestehen ontogenetische 'constraints', die bei einer DNA, die sich zu sehr unterscheidet, verhindern, dass eine Zygote sich so weit entwickelt, dass beide Genome exprimiert werden. Das ist bei weniger verwandten Organismen wahrscheinlicher als bei näher verwandten. Der Moment der 'Schöpfung' würde in diesem Modell einfach den Zeitpunkt bedeuten, an dem sich eine Population abgespalten hat, deren heutige Nachkommen sich von der nächstverwandten so weit unterscheiden, dass die DNA keine frühe Ontogenese mehr ermöglicht. Für den kreationistischen Ansatz wäre auch noch erforderlich, dass gezeigt werden kann, dass alle Grundtypen gleichzeitig entstanden sind. Erst dann wäre das ein Test für diese Auffassung.

10. Wie kamen die Forscher auf ihre Theorien?

Ist eine Theorie, die aus einer religiösen Quelle abgeleitet ist, wissenschaftlich ernst zu nehmen? Der Forderung nach einer rationalen und empirischen Überprüfung kann sich keine naturwissenschaftliche Theorie entziehen, der Weg zu einer Theorie läßt sich jedoch nicht einengen. Die Wissenschaftsgeschichte lehrt uns, daß Forscher ihre Anregungen aus sehr verschiedenen Quellen empfingen.
Charles DARWIN gibt im Hinblick auf seine biologische Selektionstheorie an, auch durch die Überlegungen von Thomas Robert Malthus über Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsmittelproduktion angeregt worden zu sein. Der Chemiker August KEKULÉ dachte viel über die Anordnung der Atome in den Kohlenstoffverbindungen nach; einige Male 'sah' er im Halbschlaf träumend die Atome sich bewegen, zu neuartigen Gebilden sich verbinden. Einmal 'sah' er eine Schlange den eigenen Schwanz erfassen - der Benzolring war entdeckt! Die Stunden nach einer solchen Vision verbrachte er mit der Ausarbeitung dieser für ihn selbst neuartigen Gedanken.
Die um 1800 in Deutschland verbreiteten spekulativen naturphilosophischen Vorstellungen von der Einheit der Naturkräfte und ihrer Polarität führten zu Entdeckungen im Bereich der Elektrochemie (Johann Wilhelm RITTER) und des Elektromagnetismus (Hans Christian ØRSTED).
Nikolaus KOPERNIKUS stieß bei antiken Philosophen auf den Gedanken, daß die Erde nicht stillsteht, sondern sich bewegt. Diesen Gedanken arbeitete er weiter aus.
Johannes KEPLER hatte die Vorstellung von einer Musik, Astronomie und Geometrie umfassenden, harmonischen Struktur des Kosmos vor Augen, als er die kopernikanische Theorie der Planetenbewegungen zu verbessern suchte - was ihm durch die drei später nach ihm benannten Gesetze auch vorzüglich gelang.
Alfred WEGENER soll durch die Aussage aus der Bibel, daß zu einer bestimmten Zeit die Erde zerteilt wurde (1.Mose 10,25), zur Ausarbeitung seiner heute berühmten Kontinentaldrift-Theorie angeregt worden sein. (Junker, R.; Scherer, S.; (Hrsg.), 2001 <lit 2747>: 20 <not 6662>)

Die angeführten Beispielen ließen sich praktisch beliebig vermehren. Dennoch geht der gesamte Ansatz am eigentlichen Problem vorbei. Wissenschaft funktioniert nach Popper als 'conjectures and refutations', das heißt, es werden Vermutungen aufgestellt und kritisch geprüft. Im ersten Schritt ist buchstäblich alles erlaubt. Es spielt keine Rolle, wie ein Forscher zu seiner Auffassung gelangt ist. Was aber genauso wichtig ist, ist der zweite Schritt: die kritische Prüfung. Der Rest des Kastens hat eigentlich mit dem ersten Satz nicht mehr viel zu tun. Niemand wird eine erfolgreich getestete Hypothese nur deshalb ablehnen, weil beispielsweise eine Bibel-Stelle den Forscher inspirierte. Wenn eine Behauptung aber nur deshalb zutreffend sein soll, weil sie in einem Offenbarungs-Buch steht, ansonsten aber nichts für sie spricht, sieht die Sache aber vollkommen anders aus.

11. Evolutionslehre nicht in Gesamtheit naturwissenschaftlich

Da wissenschaftliche Theorien niemals als endgültig wahr erwiesen werden können und da die Evolutionslehre zu ihrer Begründung auf Methoden der Geschichtswissenschaft zurückgreifen muß, wodurch immer nur mehr oder weniger plausible - aber keine abschließend wahren - Aussagen möglich sind, wird in diesem Buch bewußt weder von einer umfassenden Evolution als naturwissenschaftlich begründete Tatsache gesprochen noch wird die Evolutionslehre in ihrer Gesamtheit als naturwissenschaftliche Theorie betrachtet. Entsprechendes gilt auch für die Schöpfungslehre. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 17f <not 6661>)

Die Begründung ist äußerst merkwürdig. Im vorhergehenden Text wurde bereits festgestellt, dass selbst in dem Bereich, in dem die Methoden der Naturwissenschaften streng anwendbar sind, kein sicheres Wissen möglich ist. Es macht daher keinen Sinn, diesen Vorbehalt als Argument gegen eine umfassende Evolution zu verwenden. Es spielt daher auch keine Rolle, ob auf Methoden der Geschichtswissenschaften zurückgegriffen werden muss. Noch weniger stichhaltig ist es, daraus eine Gleichwertigkeit von Evolutionslehre und Schöpfungslehre zu konstruieren. Bisher liegt eine solche nicht einmal in Ansätzen vor, sie wird weder durch Methoden der Geschichtswissenschaften noch gar der Naturwissenschaften gestützt.

12. Interpretation von Daten unter verschiedenen Blickwinkeln

Es ist oft möglich, aus ein und demselben Befundmaterial verschiedene Induktionsschlüsse zu ziehen und damit zu verschiedenen Hypothesen zu gelangen, die einander widersprechen können. Induktionsschritte müssen also nicht eindeutig sein (Abb. 1.2). Das liegt erstens daran, daß in einer Hypothese über das Erfahrungswissen hinausgegangen wird und spekulative Elemente (eine 'zündende Idee') eingebracht werden. Zweitens besteht immer die Möglichkeit, daß die in einer Hypothese verarbeiteten Befunde unvollständig und ergänzungsbedürftig sind. Es könnten weitere Daten gewonnen werden, die der Hypothese widersprechen. (Junker; Scherer; (Hrsg.) 2001 <lit 2747>: 13 <not 6624>)

Es trifft zwar zu, dass die Interpretation derselben Daten, je nach Weltbild, dem man anhängt, unterschiedlich ist. Das hängt sicher weniger mit der 'zündenden Idee' zusammen, die eventuell erst auf den richtigen Weg bringt. Es wird vermutlich kaum mehrere Forscher geben, die anhand desselben Datenmaterials verschiedene 'zündende Ideen' haben. Und wenn sich die widersprechen sollten, ist eben kritische Prüfung angesagt. Das spekulative Element spielt nur bei der Aufstellung einer 'Theorie' eine Rolle. Dann wird sie kritisch geprüft.

Selbstverständlich sind auch dann die Ergebnisse immer noch vorläufig, letztendlich aus dem genannten Grund: es können immer neue Befunde auftauchen. Aber hier kommt auch wieder zum Tragen, dass die Naturwissenschaften ein vernetztes System darstellt: es ist plausibel, dass die Interpretation zutrifft, die sich am besten in das Gesamtsystem einordnet. Sollte das nicht der Fall sein, hat man wirklich eine Erkenntnis gewonnen, die im wahrsten Sinne des Wortes revolutionär ist.