Welche Bedeutung haben Stammbäume für die Evolutionsbiologie?

Evolution, verstanden als 'descent with modification' (also Abstammung mit Veränderung), besagt, dass sich die Lebewesen im Lauf der Zeit dadurch entwickelt haben, dass die Nachkommen ihren Vorfahren immer weniger ähnlich werden. Letztendlich haben zwar alle Lebewesen einen (oder wenige) gemeinsame Vorfahren, aber im Lauf der Zeit haben sie sich 'auseinanderentwickelt'. Aus einer gemeinsamen Stammform können sich Seitenlinien abspalten, die dann eine eigene Weiterentwicklung haben können. Das wird sicher klarer, wenn wir uns gemeinsam einen Stammbaum betrachten.

Stammbaum

Oben in der Mitte sehen Sie den Menschen. Senkrecht darunter im unteren Drittel des Bildes sehen Sie eine Struktur, die wie ein umgekehrtes 'U' aussieht, eine sogenannte Gastrula. Es handelt sich hierbei um ein Stadium der Embryonalentwicklung, das alle Wesen, die oberhalb dargestellt sind, durchlaufen. Betrachten Sie bitte die rote Linie. Sie erkennen leicht, dass diese bis zum Menschen führt. Jede Abzweigung stellt eine (hypothetische) Population dar, welche die gemeinsame Stammform zwischen den weiter in Richtung Mensch führenden und den Wesen, die in der Seitenlinie abgebildet sind, darstellt. Irgendwann gab es eine Population, aus der sich die Linie der Reptilien abspaltete, dann gab es eine, aus der die Wale stammen und so weiter. Je weniger derartiger Abzweigungen zwischen zwei Lebewesen vorhanden sind, desto näher verwandt sind diese miteinander. Sie erkennen beispielsweise, dass beispielsweise Mensch und Fledermaus näher miteinander verwandt sind als Mensch und beispielsweise Esel. Der Esel hingegen ist mit der Schildkröte näher verwandt als der Mensch.

Sie haben sicher bemerkt, dass diese Art der Darstellung eine Theorie darstellt. Aus der Evolutionslehre folgt zwingend, dass sich alle Lebewesen in einen Stammbaum einordnen lassen. Sollte nachgewiesen werden können, dass es nicht möglich ist, die Lebewesen in einem Stammbaum anzuordnen, dann müssten zumindest einige der grundlegenden Annahmen der Evolutionsbiologie neu definiert werden. Beachten Sie bitte, dass ein Stammbaum eine Theorie darstellt, die falsifizierbar ist. Ein einziger Fossilbefund kann einen Stammbaum widerlegen: Angenommen, man findet ein Fossil einer Art (beispielsweise ein Säugetier), von der man annimmt, dass sie von einer anderen abstammt (beispielsweise einem Reptil) vor dem ersten Auftreten der angeblichen Stammform, dann ist dieser Stammbaum nicht mehr vertretbar.

Was lässt sich aus Stammbäumen für die Fragestellung Evolution vs. Schöpfung ableiten?

Um die Jahrhundertwende wurden Stammbäume als 'klassische' Evolutionsbeweise aufgefasst. Das können sie aber prinzipiell nicht leisten. Selbst wenn man einen Stammbaum aufstellen könnte, in den sich alle rezenten und fossilen Lebewesen widerspruchsfrei einordnen lassen (das ist derzeit nicht der Fall), wäre nur gezeigt, dass Evolution im Sinne von Deszendenz möglich ist. Ein Beleg dafür, dass das tatsächlich zutrifft, ist damit nicht erbracht. Ein Schöpfer könnte selbstverständlich die Lebewesen so erschaffen haben, dass sie sich in einen Stammbaum einfügen lassen. Zudem ist nicht von der Hand zu weisen, dass man eine Gruppe von Gegenständen immer so ordnen kann, dass sich eine Art Stammbaum ergibt, selbst wenn diese unabhängig voneinander entstanden sind.

Wie schon erwähnt wäre aber der Nachweis, dass es prinzipiell nicht möglich ist, einen Stammbaum aufzustellen, ein großes Problem für die Evolutionsvorstellung. Das konnte aber bislang ebenfalls (noch?) nicht gezeigt werden.

Meiner Meinung nach sind Stammbäume wegen der bei ihrer Aufstellung notwendigen theoretischen Voraussetzungen für die Diskussion der Fragestellung, ob die Lebewesen geschaffen wurden oder sich entwickelt haben, weniger geeignet.


E-Mail an Thomas Waschke an Thomas Waschke Stand: 10. August 2001
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