Der biologische Artbegriff

In der Natur findet man eine unglaubliche Formenfülle. Um hier den Überblick nicht zu verlieren, hat man schon sehr früh versucht, diese zu ordnen. Die so geschaffenen 'Systeme' hatten zunächst vor allem eine Ordnungsfunktion, die Einteilung der Organismen erfolgte je nach dem Zweck, der mit dieser Systematik verfolgt wurde. Kriterien für die Bildung von Gruppen waren meist Nützlichkeitsaspekte oder gemeinsame Merkmale.

In der Biologie werden die Lebewesen in ein hierarchisches System eingeordnet. Die Einteilung erfolgt dabei nicht willkürlich sondern erhebt den Anspruch, eine Abstammung ('Deszendenz') auszudrücken. Die einzelnen Stufen spiegeln deshalb den jeweiligen Stand der Erkenntnis über die genealogischen Zusammenhänge dieser Gruppen wider. Selbstverständlich müssen die Stammbäume immer wieder 'umgeschrieben' werden, wenn durch neuere Erkenntnisse die Verwandtschaftsverhältnisse neu geordnet werden.

Die Zahl der höheren Kategorien (wie Familien, Ordnungen oder Klassen) ist hierbei relativ willkürlich, streng definiert ist eigentlich nur die Art.

MAYR, der maßgeblich an der Klärung dieser Frage beteiligt war, hat den biologischen Artbegriff wie folgt geprägt:

Arten sind Gruppen von wirklich oder potentiell sich kreuzenden Populationen, die reproduktiv von anderen solchen Gruppen isoliert sind.

Falls Ihnen diese Definition zu abstrakt ist, können Sie auch die folgende verwenden:

Arten sind Fortpflanzungsgemeinschaften mit voll fertilen Nachkommen.

Diese Aussagen möchte ich etwas verdeutlichen, damit sie auch für Nicht-Biologen einigermaßen verständlich werden. Unter einer Population (Fortpflanzungsgemeinschaft) versteht man eine Gruppe von Lebewesen, die sich untereinander fortpflanzen. Wie sie anhand der zweiten Definition erkennen können, wird hier der Begriff 'Art' synonym zu 'Population' verwendet. Entscheidend ist, dass sich alle Angehörige einer Art prinzipiell untereinander fortpflanzen können, nicht hingegen, ob sich diese irgendwie ähneln.

Alle Hunde beispielsweise können sich untereinander fortpflanzen (notfalls muss man ein wenig 'nachhelfen'), sie gehören daher zu einer Art. Eine Art kann man dann noch weiter in sogenannte Rassen unterteilen. Aufgrund ihres Aussehens kann man viele verschiedene Hunderassen unterscheiden, entscheidend ist aber, dass sich Angehörige verschiedener Rassen miteinander kreuzen lassen. Jede 'Promenadenmischung' zeigt, das das ganz gut funktioniert.

Der Begriff 'fertile Nachkommen' ist ebenfalls wichtig, weil es 'Grenzfälle' gibt, in denen bei der Paarung zwischen zwei Angehörigen zweier verschiedener Arten zwar noch lebensfähige Tiere geboren werden, die aber unfruchtbar sind. Es ist beispielsweise kein Problem, Esel und Pferd zu kreuzen. Die Maultiere bzw. Maulesel sind aber unfruchtbar. Aus diesem Grund zählt man Pferde und Esel zu verschiedenen Arten. 'Voll fertil' bedeutet, dass die Nachkommen über mehrere Generationen hinweg fruchtbar kreuzbar sind, weil es seltene Fälle gibt, in denen zwar die direkten Nachkommen noch kreuzbar sind, deren Nachwuchs aber nicht mehr.

Die oben genannten Definitionen sind zwar sehr sinnvoll und einleuchtend, in der Praxis ist die Anwendung dieses Kriteriums aber nicht immer möglich.

Aus evolutionsbiologischer Sicht ist die oben genannte Art-Definition zusätzlich sinnvoll. Man kann Evolution auch als 'Änderung des Genpools einer Population im Laufe der Zeit' betrachten. Wenn sich nun die Angehörigen einer Population nur noch untereinander fortpflanzen, ist sie 'reproduktiv isoliert'. Ihr Genpool (die Gesamtheit aller Gene, die in den Organismen dieser Populationen vorliegen) wird nicht durch den einer anderen Population beeinflusst, beide Populationen können sich nun unterschiedlich entwickeln.

In der Praxis muss man aber üblicherweise auf morphologische Unterschiede zurückgreifen, um Arten zu unterscheiden. Da sich eine Verwandtschaft meist auch in gemeinsamen Merkmalen zeigt, gelangt man so üblicherweise auch zu sinnvollen Ergebnissen.


Genotyp und Phänotyp

Im Kern der Zellen befindet sich die Erbsubstanz, die sogenannte DNA. In ihr sind alle Informationen in Form von Genen gespeichert, die nötig sind, um einen Körper aufzubauen. Die Gesamtheit aller Gene, die ein Lebewesen besitzt, nennt man dessen Genotyp.

Durch die Realisierung der Information des Genotyps entsteht aus der befruchteten Eizelle ein Lebewesen mit bestimmten Eigenschaften. Die Gesamtheit dieser Eigenschaften nennt man den Phänotyp eines Lebewesens. Die konkrete Ausprägung des Phänotyps ist von einem komplizierten Wechselspiel zwischen dem Genotyp und der Umwelt abhängig.

Dazu vielleicht ein konkretes Beispiel: eine Erbkrankheit, die sogenannte Phenylketonurie (PKU) wird dadurch verursacht, dass ein Gen einen Defekt aufweist. Durch diesen Defekt kann ein bestimmter Stoffwechselschritt nicht mehr erfolgen, ein bestimmtes Zwischenprodukt reichert sich im Körper an. Beim Heranwachsenden wird dadurch unter anderem die Entwicklung des Gehirns massiv beeinträchtigt. Durch die (fehlende) Wirkung eines (in diesem Fall defekten) Gens wird die Wirkung vieler anderer Gene (die eigentlich einen gesunden Phänotyp aufbauen würden), massiv beeinträchtigt. Wenn man nun aber aus der Nahrung bestimmte Stoffe entfernt, die aufgrund des Gendefekts nicht verstoffwechselt werden können, entwickelt sich das Kind normal. Je nach Umwelt kann so aus demselben Genotyp ein vollkommen anderer Phänotyp entstehen.


Proximate und ultimate Ursachen

Die Natur läßt sich auf verschiedenen Ebenen unter verschiedenen Gesichtspunkten erforschen. Ich möchte das am Beispiel des Unterschieds zwischen den Geschlechtern verdeutlichen.

Exakt ausgerichtete Naturwissenschaften beschäftigen sich mit der Frage, wie eine bestimmte Einrichtung funktioniert. Man kann sich beispielsweise fragen, wie es dazu kommt, dass Frauen einen Busen und bestimmte Körperformen haben, die Männern üblicherweise fehlen. Man findet in diesem Fall heraus, dass das auf der Anwesenheit von bestimmten Hormonen beruht, die letztlich durch eine unterschiedliche Aktivität von Genen bewirkt wird. Betrachtet werden also letztendlich Mechanismen, die bestimmte Auswirkungen haben. Dieproximate Ursache für die Unterschiede im Körperbau zwischen Mann und Frau besteht also im Vorhandensein irgendwelcher Gene oder Hormone.

Man kann aber einen Schritt weiter gehen, und sich fragen, wozu es überhaupt Unterschiede im Körperbau der Geschlechter gibt. Selbst wenn bis in alle molekularen Details geklärt ist, wie diese Unterschiede erklärbar sind, ist noch nichts darüber bekannt, welchen biologischen Zweck diese Einrichtung hat. Die ultimate Ursache für das Vorhandensein eines Busens hat offensichtlich irgendetwas mit der Ernährung der Kinder zu tun.

Zwischen Anhängern dieser beiden Betrachtungsweise herrschte oft ein erbitterter Streit um die richtige Methode. Reduktionisten vertreten die Auffassung, dass nur die Frage nach dem 'Wie' wissenschaftlich exakt zu klären sei. Eine Frage nach dem 'Warum' wurde als spekulativ abgelehnt. Diese Frage kann immer so weit getrieben werden, bis man sie nicht mehr beantworten kann. Die Frage 'wozu' hingegen ist irgendwann befriedigend geklärt. Es ist das große Verdienst der Evolutionsbiologie, die Frage nach dem 'Wozu' wieder 'salonfähig' gemacht zu haben. Primär ist nicht die Frage nach dem Mechanismus, sondern nach den Selektionsdrücken, welche einen solchen Mechanismus sinnvoll machten. Selbstverständlich muss die Argumentation auf der Tatsachenebene bleiben, 'Warum'-Fragen bleiben dagegen steril. Man kann zwar sehr tiefschürfend raunen: 'Warum ist Seiendes und nicht vielmehr nichts?', aber eine mögliche Antwort liegt weit außerhalb des Begriffsrahmens der Naturwissenschaften und man kann mit gutem Recht die Frage stellen, ob es überhaupt eine sinnvolle Antwort geben kann.


Mikro- und Makroevolution

Selbst hartgesottene Kreationisten geben inzwischen zu, dass es durch Mutation und Selektion möglich ist, Lebewesen im Rahmen ihrer Entwicklungspotenzen zu verändern. Durch Züchtung konnten beispielsweise aus dem Wolf alle heute bekannten Hunderassen erzeugt werden. Diesen Vorgang, dass sich Lebewesen im Rahmen ihrer Möglichkeiten an Selektionsbedingungen anpassen können, bezeichnet man als Mikroevolution. Durch die Mechanismen, die hier beteiligt sind (Mutation, Selektion, Gendrift, Isolation etc.) können auch neue Arten entstehen.

Die Frage ist aber, ob durch diese Mechanismen auch grundlegend Neues entstehen kann (also beispielsweise aus augenlosen Vorfahren Lebewesen mit Augen) und ob man die im Fossilbefund beobachteten Phänomene (beispielsweise Evolutionstrends wie die Beobachtung, dass aus kleinen Stammformen große Arten entstehen) damit erklären kann. Diese Makroevolution läßt sich nach Meinung der Vertreter der Synthetischen Theorie ebenfalls durch die oben genannten Mechanismen erklären, andere Biologen streiten das ab. Eine Klärung dieser Frage ist meiner Meinung nach sehr schwierig, vor allem auch, weil man sich erst einigen muss, was eigentlich 'neu' oder ein 'Trend' ist.

Die Erklärungen erfolgen meist auf der Ebene der Gene bzw. der Änderung deren Häufigkeit in der Population im Lauf der Zeit. Die Selektion wirkt aber nicht auf Gene, sondern auf das, was aus ihnen entsteht, also auf Lebewesen. Die Gene wirken in diesen immer in sehr komplexer Weise in einem harmonischen Ganzen zusammen. Daher stellt sich die Frage, ob man diese Komplexität dadurch fassen kann, indem man die quantitative Verteilung der Bausteine untersucht. Letztendlich ist das die sogenannte Reduktionismus-Problematik, konkret, ob man die Eigenschaften komplexer Systeme durch Eigenschaften der Bestandteile vollständig erklären kann.