Kritische Anmerkungen zum 'Evolutionsbuch'

(Junker / Scherer (Hg.) 'Evolution. Ein kritisches Lehrbuch')

Vorbemerkung
Das 'Evolutionsbuch' in der Diskussion
Die Ziele des 'Evolutionsbuchs'
Konkrete Angabe von testbaren Fragestellungen der Schöpfungsforschung
Testbare Fragestellungen aufgrund von Postulaten der Schöpfungslehre
Was ist eigentlich Kurzzeit-Kreationismus?
Prüfbare starke Vorhersagen des Kurzzeit-Kreationismus
Aussagen zur Begründung Kurzzeit-Kreationismus im Evolutionsbuch
Fazit: Was kann dieses Buch erreichen?

Vorbemerkung

Im sogenannten 'Evolutionsbuch' soll eine Schöpfung in Form des Kurzzeit-Kreationismus als wissenschaftliche Alternative zur naturalistischen Forschung vorstellen. Ich versuche in meiner Analyse zeigen, warum das meiner Meinung nach nicht der Fall ist.

Auf meiner Site und im Web finden Sie etliche Rezensionen dieses Buchs. Deshalb möchte ich nicht einfach noch eine weitere hinzufügen. Ich werde zwar den Inhalt des Buchs auch an den Zielen der Autoren messen, mich aber im wesentlichen auf die Argumente für die Schöpfungs-Alternative beschränken. Bei meiner Besprechung handelt sich aber vor allem um eine Analyse des Standpunkts des Kurzzeit-Kreationismus (wie schillernd der Begriff 'Schöpfung' bzw. 'Kreationismus' ist, ist an anderer Stelle ausführlicher dargestellt). Das heißt, ich stelle zunächst die Aussagen dieser Weltanschauung kurz dar und gehe dann darauf ein, ob, und gegebenenfalls, wie die Autoren im 'Evolutionsbuch' diese Weltanschauung stützen.

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Das 'Evolutionsbuch' in der Diskussion

Das 'Evolutionsbuch' hat in bestimmten Kreisen eine große Verbreitung gefunden. Wenn ich richtig informiert bin, wurden mehrere 10.000 Exemplare verkauft. Das Echo in der Fachwelt war allerdings sehr verhalten. Gegen Ende des Vorworts zur 5. Auflage schreiben die Herausgeber:

Von einigen Lesern hat uns berechtigte Kritik erreicht, diese wurde generell berücksichtigt, hat aber meist nur zu kleineren Änderungen geführt. Das Buch wurde in der Fachwelt weitgehend mit Schweigen bedacht. Einige wenige Reaktionen waren stark emotional geprägt - dies überraschte nicht. Es war eine Erfahrung eigener Art für uns, daß man vernichtende Buchbesprechungen veröffentlichen kann, nach deren Lektüre wir uns ernsthaft fragten, ob es der Rezensent denn für nötig gehalten hat, das besprochene Werk auch zu lesen. (Evolution S. 5)

Diese etwas resignierte Reaktion ist verständlich. Die Autoren haben sich sehr viel Mühe gegeben, die Schwachstellen der Evolutionsauffassung konkret aufzuzeigen ('Evolutionskritik'). Natürlich akzeptieren sie dabei 'berechtigte Kritik' und arbeiten sie in ihre Ausführungen ein. Die 'kleineren Änderungen' hierbei waren aber so marginal, dass die meisten Seiten der 5. Auflage sich nicht von denen der 4. unterscheiden.

Das Ergebnis dieser Anstrengungen ist frustierender Weise auf der einen Seite Schweigen. Nach meiner Einschätzung gibt es für kritische Menschen, denen die methodischen Grenzen des naturalistischen Ansatzes und der Evolutionslehre bekannt sind, keinen Anlass, sich mit den sachlichen Darstellungen ernsthaft auseinanderzusetzen und nun jedes Detail kritisch zu prüfen. Für diesen Leserkreis erübrigt sich aus einem ganz einfachen Grund eine Reaktion: das Buch 'tut nicht weh'. Man kann problemlos alle im 'Evolutionsbuch' sachlich und faktisch geschilderten Probleme der Evolutionsauffassung auf die Liste 'Muss noch erforscht werden' setzen und dann zur Tagesordnung übergehen. Die Autoren räumen explizit an vielen Stellen ein, dass man die geschilderten Befunde durchaus im Rahmen eines naturalistischen Evolutionsmodells deuten kann. Einen expliziten Vorteil des Schöpfungsmodells, der über ein Plädoyer für das Offenhalten von Alternativen hinausgeht, habe ich in dem Buch nicht gefunden. Ich hätte keinerlei Probleme, dieses Buch in einem Biologie-Kurs in der gymnasialen Oberstufe zu verwenden: die Darstellung vieler Fakten unterscheidet sich nicht von der in den üblichen Schulbüchern, Grenzüberschreitungen sind klar gekennzeichnet. Das Buch würde sich hervorragend dazu eignen, den Schülern kritisches Denken beizubringen, beispielsweise, indem untersucht wird, warum eine naturalistische Auffassung einem schöpfungsorientierten Ansatz vorzuziehen ist.

Die zweite Gruppe besteht eher aus Menschen, für die naturalistische Wissenschaft eine Art 'Ersatzreligion' geworden ist, und die sich nun mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass ihnen gezeigt wird, dass sie nicht so viel wissen, wie sie gerne würden. Diese Menschen stellen dann entweder eher marginale Fehler der Darstellung in den Vordergrund oder polemisieren gleich gegen vermutete Motive der Autoren. Oft ist es dann leicht, zu zeigen, dass diese Menschen das Buch gar nicht gelesen haben.

Mein eigener Ansatz bewegt sich irgendwo zwischen diesen beiden Alternativen. Mein Motiv zur Beschäftigung mit diesem Buch besteht vor allem darin, dass es mir in Diskussionen von Kreationisten als autoritative Quelle genannt wird. Aus diesem Grund ist der Ansatz meiner Kritik etwas anders. Ich messe das Buch nicht, wie die Autoren eigentlich erwarten, an den evolutionskritischen Zielen, die sie sich selbst für dieses Buch gesteckt haben. Fachliche Details, also die Frage, ob evolutionsbiologische Sachverhalte korrekt dargestellt werden, interessieren mich eher am Rande. Mein Ansatz bewegt sich auf einer andere Ebene: ist dieses Buch geeignet, in der Diskussion zwischen Kreationisten und Anhängern einer naturalistischen Evolution die konkrete Auffassung von Schöpfung, welche die Mitglieder der Studiengemeinschaft Wort und Wissen (und den Kreationisten, die sich auf dieses Buch beziehen) vertreten, nämlich den Kurzzeit-Kreationismus, zu stützen?

In einem anderen Artikel habe ich diese Kritik anlässlich eines Informationsblattes, in dem das 'Evolutionsbuch' beworben wird, dargestellt. Im vorliegenden Artikel möchte ich diesen Gedankengang etwas vertiefen und anhand von Zitaten aus dem 'Evolutionsbuch' belegen. Ich habe keinen Wert darauf gelegt, Überschneidungen zwischen den beiden Artikeln zu vermeiden, weil ich beide je für sich verständlich halten wollte.

[ Übersicht ]

Die Ziele des 'Evolutionsbuchs'

Im Vorwort des Buchs nennen die Autoren ihr Hauptanliegen:

Das Denken in evolutionären Kategorien hat sich so fest etabliert, daß man grundsätzliche Einwände gar nicht mehr erwartet. Könnte das ein Grund dafür sein, daß widersprüchliche Daten scheinbar nicht wahrgenommen werden? Evolutionskritische Befunde sind, wenn überhaupt, meist nur in spezieller Fachliteratur festgehalten und erreichen den nicht spezialisierten Leser selten. Daraus ergibt sich ein Hauptanliegen dieses Buches. Weithin unbekannte Deutungsprobleme und offene Fragen der Evolutionslehre werden systematisch und umfassend thematisiert. Sie haben nach unserer Auffassung ein so großes Gewicht, daß Makroevolution als Leitvorstellung [ ... ] ernsthaft in Frage gestellt werden muß und schon gar nicht als "bewiesenes Faktum" gelten kann. (Evolution S. 6, Hervorhebung im Original, T.W.)

Ziel des Buches soll es offensichtlich sein, Deutungsprobleme und offene Fragen der Evolutionslehre darzustellen. Die Autoren gehen so weit, aus diesen Problemen zu folgern, dass Makroevolution als Leitvorstellung in Frage gestellt werden muss. Das würde bedeuten, dass die Alternativen, also auch Schöpfungsvorstellungen, die bisher nicht beachtet wurden, an Bedeutung gewinnen.

Aus den obigen Zeilen wird zwar deutlich, dass das Buch vornehmlich nicht das Ziel hat, die Weltanschauung des Kurzzeit-Kreationismus zu belegen. Die Autoren benennen allerdings auch explizit ihre Alternative:

Zur Makroevolutionslehre existiert eine Alternative. Sie ist von der biblischen Offenbarung her motiviert und wird als Schöpfungslehre in diesem Buch thematisiert, wo direkte Zusammenhänge mit naturwissenschaftlichen Daten gegeben sind. (Evolution S. 6, Hervorhebung im Original, T.W.)

Die Formulierung 'eine' Alternative in diesem Zusammenhang ist mehrdeutig. Im Buch selber wird angeführt, dass es mehrere sich gegenseitig widersprechende Auffassungen von Schöpfung gibt (auf S. 272 f werden 'ökologische' und 'esoterische', sowie 'Langzeit-Schöpfungslehren' und 'theistische Schöpfungslehren' neben der von den Autoren vertretenen 'Kurzzeit-Schöpfungslehre' genannt). Hieran wird schon erkennbar, dass die Widerlegung des Evolutionsmodells bestenfalls eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Voraussetzung für den Standpunkt der Autoren ist. Den Begriff 'Schöpfungslehre' im obigen Zitat muss man also kritisch hinterfragen: ist das, was im 'Evolutionsbuch' als 'Schöpfungslehre' diskutiert wird, die konkrete Auffassung von der Art Schöpfung, die die Autoren vertreten? Genauer: ist ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Schöpfung schon ein Argument für den Kurzzeit-Kreationismus?

An dieser Stelle sei vielleicht schon ein Hinweis vorangestellt. Man muss die Texte der Autoren von Wort und Wissen, vor allem die, die für die säkulare Öffentlichkeit bestimmt sind, sehr genau, auch zwischen den Zeilen, lesen. Die Autoren verfolgen hier die Strategie, Befunde, die sich in ihrem Sinn deuten lassen, vorzustellen und damit anzudeuten, dass dieser Befund ihre Auffassung stützt. So findet man beispielsweise sehr häufig die Qualifizierung, dass bestimmte Prozesse 'schnell' ablaufen können. Wenn man bedenkt, dass die Autoren von einer jungen Erde ausgehen, ist natürlich alles, was 'schnell' ablaufen kann, prinzipiell leichter mit deren Weltbild zu vereinbaren, als 'langsame' Vorgänge. Wenn man diese Adjektive allerdings in Zahlen ausdrückt, zeigt sich schnell, dass sie kein Argument für die Position des Kurzzeit-Kreationismus darstellen. Wenn von einer Erde ausgegangen wird, die maximal (die Angaben schwanken je nach Autor) wenige 10.000 Jahre alt ist, spielt es wirklich keine Rolle, wenn man herausfindet, dass ein Vorgang nicht, wie man früher angenommen hat, 5 Millionen Jahre, sondern 'nur' 4 Millionen Jahre gedauert hat. Dieses Argument habe ich