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Erwiderung

von Prof. Dr. Ulrich
Kutschera, Universität Kassel

Intelligentes Design und Evolution

In meinem Lehrbuch (1) und in dem kürzlich in dieser Zeitschrift erschienenen Nachruf auf S. J. Gould habe ich Herrn Dr. W.-E. Lönnig, wiss. Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln (Abt. Molekulare Pflanzengenetik), als Kreationisten bezeichnet und dessen Erklärungsversuch zur Entstehung der Arten durch intelligente Schöpfung als pseudowissenschaftlich klassifiziert. In dem nebenstehenden (hier im Internetforum veröffentlichten) Artikel hat Herr Lönnig seine Position dargelegt und mir schwerwiegende Vorwürfe gemacht (u. a. Wissenschaftsfeindlichkeit). In diesem Beitrag möchte ich auf die vier Punkte seines Briefes eingehen und die deutschen Biologen über die aktuelle Intelligent-Design-Kontroverse in den USA informieren.


:: :: Toleranz in den Wissenschaften

Im Februar 2002 habe ich nach Aufforderung durch Fachkollegen dem Leiter der Abt. Molekulare Pflanzengenetik des MPIZ Köln einen Brief geschrieben. In dieser Anfrage finden sich die folgenden Sätze: “Die Aussagen von Herrn Lönnig (auf der MPIZ-Homepage) sind z. T. eindeutig gegen die international akzeptierten Grundsätze der Naturwissenschaft Biologie gerichtet und dienen der Verbreitung einer religiösen Weltanschauung, zu der sich der Autor in klaren Worten bekennt. (...) Trotz des ‘Disclaimers’ des MPIZ möchte ich anfragen, ob Sie es für richtig halten, dass die Max-Planck-Gesellschaft derzeit als Verbreitungsorgan einer pseudowissenschaftlichen Ideologie missbraucht wird. Herr Lönnig hat selbstverständlich das Recht, seine kreatio-nistische Weltansicht als Privatmann im Internet zu präsentieren. Es ist meiner Ansicht nach jedoch nicht akzeptabel, dass sein Arbeitgeber durch Bereitstellung von Internetseiten mit MPI-Logo diese religiös motivierte (anti-naturwissenschaftliche) Missionstätigkeit unterstützt. Über eine kurze Stellung-nahme wäre ich sehr erfreut”. Ende März 2002 teilte mir der angeschriebene, für die Homepage verantwortliche Abteilungsleiter mit, dass er seinem Mitarbeiter, Herrn Lönnig, Meinungsfreiheit zubillige, denn “Toleranz beflügelt die Wissenschaft”. Diese offizielle Ansicht des MPIZ Köln habe ich zur Kenntnis genommen. Eine Anfrage mit entsprechendem Antwortschreiben würde ich nicht als “Verbotsversuch” interpretieren. Ich nehme mir allerdings die Freiheit heraus, in Publikationen auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.

:: :: Definition Kreationismus

Herr Lönnig behauptet, er sei kein Kreationist, da er gewisse religiöse Dogmen nicht akzeptiere. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den folgenden Dokumenten, die ich der MPIZ-Homepage von Herrn Lönnig entnehme: a) Publikation 4: Lönnig, W.-E.: Auge widerlegt Zufalls-Evolution. Ein paar Fakten und Zitate zur Widerlegung des Neodarwinismus und zum Beweis der Schöpfungslehre. 2. Aufl., Köln 1989. b) Publikation Nr. 38: Lönnig, W.-E.: Artbegriff, Evolution und Schöpfung. 3. Aufl., Köln 1993. Schlüsselzitat: “Die primären Arten sind nicht auf blinde Zufälle zurückzuführen, sondern das Ergebnis intelligenter Schöpfung”. c) Beitrag Nr. 49: Rezension des Titels “Evolution. Ein kritisches Lehrbuch” von R. (!*) Junker und S. Scherer, 5. Aufl. 2001. In dieser positiven Besprechung (Zitat: “hohe wissenschaftliche Qualität”) wird für das Standardwerk des deutschen Kreationismus geworben. Ich habe in meinem Evolutionsbuch eine Widerlegung der Argumente von R. Junker / S. Scherer publiziert, auf die hier verwiesen werden soll (1). d) Internet-Beitrag W.-E. Lönnig: Gesetz der rekurrenten Variation (2002). Nach seitenlangen Abhandlungen zieht der Autor die folgende Schlussfolgerung: “ Sind die genial-komplexen kybernetischen Systeme in den Organismen nicht bereits ‘substantial evidence’ für intelligent design?”. Die Befunde sprechen ganz klar für intelligentes Design. Der Genetiker W.-E. Lönnig ist somit offensichtlich vom Anhänger der Schöpfungslehre (d. h. Kreationist) zum Intelligent Design-Theoretiker mutiert.

:: :: Aktuelle Diskussion zum Intelligent Design

Wie Herr Lönnig auf seiner Homepage und in der Publikation (b) schreibt, soll es ein “evolutionistisches Denkverbot” mit folgendem Inhalt geben: “Frage auch bei den komplexesten und genialsten Konstruktionen in der Natur niemals nach dem Konstrukteur.” Dieses postulierte übernatürliche Schöpfer-Wesen wurde vor zweihundert Jahren von dem Theologen W. Paley (1743-1805) in die Debatte gebracht (Buchtitel: Natural Theology: On Evidences of the Existence and the Attributes of the Deity, London 1802). Dieses metaphysische Konzept ist noch heute unter dem Motto “design must have a designer” bekannt. Die Design-Argumentation der deutschen Kreationisten konnte durch Sachargumente widerlegt werden (1).

Leider spielt das uralte Intelligent- Design-(ID)-Konzept derzeit in der Kreationismus-Debatte in den USA eine zentrale Rolle und bereitet den amerikanischen Evolutionsbiologen Probleme (s. Bericht in Nature 416, S. 250, 2002). Wie der Anti-Kreationist R. Moore (2) in einem aktuellen Übersichtsartikel dargelegt hat, ist der Begriff ID nichts anderes als ein Euphemismus für den “wissenschaftlichen Kreationismus”. Vor einem US-Gericht wurde kürzlich das folgende Urteil verkündet: “ Are proposals for intelligent design different from those for creation science? No”. (Freiler v. Tangipohoa Parish Board of Education, zitiert in Ref. 2). Es besteht somit Konsens unter Fachleuten, dass zwischen einem Anhänger der Schöpfungslehre (Kreationisten) und einem Verkünder des ID-Dogmas kein grundsätzlicher Unterschied besteht (3), da der “Designer” nicht näher definiert wird und z. B. mit dem Gott in der Bibel identisch sein könnte. ID wird derzeit von den US-Kreationisten als “Trojanisches Pferd” benutzt, um die Schöpfungslehre im Schulunterricht zu verankern: Wird dieser metaphysische Glaubenssatz einmal zum Lehrstoff, kann “bei Nacht und Nebel” der Kreationismus ausgepackt und verbreitet werden.

Der Biologe B. A. Palevitz (4) hat in einem gerade erschienenen Beitrag offen gelegt, dass die US-ID-Kreationisten in einem “Center for the Renewal of Science and Culture” (einem Seitenzweig des “Discovery Institute”, Seattle) zusammengefasst sind. Die ID-Bewegung ist finanziell bestens ausgestattet und wird u.a. von der John Templeton Foundation unterstützt. Ziel: Etablierung einer “theistischen Wissenschaft” in den USA. Im neuen ID-Journal “Progress in Complexity, Information and Design” wird dieser Gedanke nochmals präzisiert: “... retraining the scientific imagination to see purpose in nature”. In einer Region des Bundesstaats Atlanta haben ID-Vertreter inzwischen erreicht, dass Biologie-Schulbücher mit einer “Evolution disclaimer” versehen werden müssen. Aus diesen Gründen fordert Palevitz im US-Journal Evolution seine Kollegen auf, etwas gegen die ID-Kreationisten zu unternehmen: “Do something about it” (4).

:: :: Makroevolutionistisches Meinungsmonopol

Ist das ID-Konzept als naturwissenschaftliche Theorie zu bewerten? Herr Lönnig wirft mir vor, ich würde die Synthetische Theorie als “endgültig verifiziert” betrachten. In meiner Evolutionsbiologie (1) habe ich jedoch auf vielen Seiten dargelegt, dass die erweiterte Synthetische Theorie der biologischen Evolution ein offenes System ist, welches stetig durch neue Befunde ergänzt und modifiziert wird. Da es keine plausible naturalistische Alternative gibt, liefert diese Theorie die einzige allgemein akzeptierte, durch Fakten untermauerte Erklärung für den evolutionären Artenwandel. Kurz gesagt: Evolution ist heute eine Tatsache, die durch das Aussagen-System “Synthetische Theorie” beschrieben und erklärt wird. In den Naturwissenschaften gilt seit etwa 200 Jahren das Prinzip des Naturalismus: Nur reale Dinge sind erforschbar und in die Theorienbildung einzubeziehen. Das auf W. Paley zurückgehende ID-Argument ist daher außerhalb der Naturwissenschaften, d. h. im Bereich des subjektiven Glaubens, anzusiedeln. ID kann weder überprüft noch widerlegt werden. Anders formuliert: Die “ID-Theorie” erklärt alles - und somit nichts (3, 4).

Die Tatsache, dass berühmte Physiker, wie z. B. Max Planck, an Planmäßigkeit im Universum geglaubt haben, ist für die Biologen heute irrelevant. Ich wäre sehr darüber erfreut, wenn ID-Vertreter wie Herr Lönnig auf wissenschaftliche Originalarbeiten und Review-Artikel verweisen könnten, in denen Dokumente und Experimente zum Wirken des “Intelligenten Designers” nachlesbar sind. Die “ID-Forschung” hat seit Paley (1802) keine Erkenntnisse hervorgebracht, die in die wissenschaftliche Literatur eingegangen sind und das klassische Postulat durch verifizierbare Fakten untermauert hätten (4). Da derartige Dogmen, wie z. B. auch der Leitsatz der Homöopathie (geistartige Wirkung ohne Wirkstoff), nicht überprüfbar sind, stehe ich zu meiner Aussage, dass es sich hierbei um eine scheinwissenschaftliche Weltanschauung (pseudowiss. Ideologie) handelt. Dieses nüchterne Sachargument sollte nicht als “Diffamierung Andersdenkender” umgedeutet werden.

Aus meiner Sicht sollten Kreationisten, ID-Vertreter und andere Gläubige ihre Dogmen nicht unter dem Deckmantel der Naturwissenschaften verbreiten. Gemäß dem Motto “Wer glaubt, wird glücklich.” bin ich der Ansicht, dass metaphysische Glaubensinhalte Privatsache jedes Einzelnen sind. Dieser Grundsatz gilt auch für Biologen. Die akademische Freiheit sollte daher nicht zur Verbreitung religiöser Inhalte miss-braucht werden, auch wenn ein Naturwissenschaftler in seinem Privatleben einer Glaubensrichtung anhängt.

Der traurige Zustand der Evolutionslehre in den USA (2, 4) ist ein Beleg dafür, dass Wissenschaft und Glaube nicht durchmischt werden sollten. Das hierbei gebildete “Gebräu” schmeckt keiner Seite und ist insbesondere für aktive Evolutionsforscher (die darüber hinaus die aktuelle Literatur kennen) ungenießbar.

Fazit: Wissenschaftsfeindlichkeit ist auf der Seite der Kreationisten (bzw. ID-Vertreter) anzusiedeln und nicht jenen Biologen zu unterstellen, die sich redlich bemühen, durch Originalarbeiten den Erkenntnisfortschritt voranzubringen. Eine ernsthafte, sachliche Diskussion mit der Gegenseite ist nach meiner Erfahrung jedoch leider sinnlos, da der subjektive Glaube stärker ist als das objektive Wissen.

Literatur:

1. Kutschera, U. (2001), Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung. Parey Buchverlag, Berlin.
2. Moore, R. (2002), The sad status of evolution education in American schools. The Linnean 18, 26 - 34.
3. Charlesworth, B. (2002), Evolution by design? Nature 418, 129.
4. Palevitz, B. A. (2002), Intelligent design creationism: None of your business? Think again. Evolution 56, 1718 - 1720.

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