Rezension: Nur eine Illusion? Biologie und Design

Eine leicht veränderte Version erschien im skeptiker 3/06, 121f

 

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Rammerstorfer, M. (2006) 'Nur eine Illusion? Biologie und Design'

Marburg, Tectum
ISBN 3-8288-9117-9
19,90 €

Im Juli 2006 erschien bei Tectum ein Büchlein, das sich ausschließlich mit der Frage nach Design in der Biologie befasst. Der Autor, Markus Rammerstorfer (Jahrgang 1983), betreibt seit einigen Jahren eine Internet-Seite (http://members.aon.at/evolution/) zum Thema Intelligentes Design (ID) und dürfte auf diesem Gebiet einer der kompetentesten deutschsprachigen Autoren sein. Rammerstorfer hat sich als Autodidakt in die Evolutionsliteratur eingearbeitet und für seine Site einige Artikel verfasst, die einen durchaus eigenständigen Ansatz erkennen lassen. Wie argumentiert der Autor in diesem Buch?

Nach einer Einleitung, die in die Problematik einführt, wird zunächst gezeigt, dass Lebewesen prinzipiell anders funktionieren als unbelebte Systeme: während beispielsweise Schneeflocken aufgrund der physikalischen Gegebenheiten nur wachsen, nutzen Lebewesen aktiv Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen dieser Naturgesetze. Rammerstorfer veranschaulicht diesen Sachverhalt anhand eines Surfers, der zwar die Welle nicht beeinflussen kann, sie aber für seine Zwecke nutzt.

In den nächsten drei Kapiteln belegt der Autor mit vielen Zitaten aus der Evolutionsliteratur, dass allgemein anerkannt wird, dass die Lebewesen zumindest so aussehen, als seien sie wie technische Geräte konstruiert. Diesen Sachverhalt erkennen auch naturalistische Forscher an (Rammerstorfer zitiert beispielsweise Dawkins "Biology is the study of complicated things that give the appearance of having been designed for a purpose."[26]).

Die Ergebnisse der bisherigen Betrachtungen werden im sechsten Kapitel zusammengefasst. Der Autor nennt drei Gründe, weshalb trotz dieser Befunde nicht anerkannt wird, dass der Eindruck von Design in der Biologie mehr ist als eine Illusion: naturalistische Mechanismen, welche diese Phänomene erklären, Eigenschaften der Organismen, die einem intelligenten Design widersprechen und allgemeine wissenschaftstheoretische Überlegungen. In den folgenden Kapiteln, die den Hauptteil des Buchs ausmachen, wird versucht, diese Einwände zu entkräften. Rammerstorfer analysiert zunächst kritisch die in der Evolutionsbiologie diskutierten Mechanismen und versucht dann, einen viel verwendeten Ansatz zur Kritik an ID ("Dysteleologie - oder was Designer nicht täten ...") zu widerlegen und wendet sich dann wissenschaftstheoretischen Fragen zu.

Nach der Zusammenfassung findet man noch drei Anhänge, die eigentlich in den Text hätten eingearbeitet werden müssen. Zunächst wird ein Ansatz zu einer "Generaltheorie Intelligenten Designs" vorgestellt, es folgt eine Analyse der Frage, ob ein infiniter Regress vorliegt, falls man nach der Herkunft des Designers fragt und schließlich wird gezeigt, dass einige Argumente für Evolution nur dadurch plausibel werden, indem sie mit einer bestimmten Auffassung von Design kontrastiert werden.

Rammerstorfer hat nach eigenen Angaben "der Dokumentation in weiten Teilen klar den Vorrang vor der Lesbarkeit gegeben" [6], daher ist es nicht verwunderlich, dass die Literaturliste zu dieser kurzen Arbeit 137 Quellen aufführt. Die meisten stammen von Autoren, die nicht dem ID-Lager zuzurechnen sind und aus denen Rammerstorfer (fast zu) ausführlich zitiert. Index und Autorenregister fehlen. An der Aufmachung des Buchs ist nichts auszusetzen, der Preis von 19.90 Euro ist allerdings für ein dünnes Taschenbuch mit nur 152 Seiten recht hoch.

Der Autor geht von der unter ID-Vertretern üblichen Alternative aus: "Waren es überhaupt (wie auch immer geartete) 'ungelenkte Prozesse', die die wesentliche Rolle bei der Entstehung der Organismenwelt gespielt haben? Das Gegenteil solcher Prozesse wäre Planung, Design [ ... ] , prinzipiell erkennbar durch echte Zielgerichtetheit biologischer Strukturen und Prozesse." [4, Hervorhebung im Original, T.W.]). Die entscheidene Frage ist nun, wie diese "echte Zielgerichtetheit" gezeigt werden kann.

An der obigen Inhaltsangabe wird ersichtlich, dass sich das Buch im Rahmen der üblichen ID-Literatur bewegt: die ID-'Theorie' wird nur kurz dargestellt, der Schwerpunkt liegt auf einer Kritik der naturalistischen Evolution und der Gegenkritik an ID. Das ist zu erwarten, denn ID beschränkt sich darauf, durch eine möglichst weit gehende Untersuchung von Gegenständen zu zeigen, dass diese nicht durch natürliche, ungelenkte Prozesse (worunter alles gefasst wird, was ohne Design möglich ist) entstanden sein konnten. Eine nähere Analyse (s. Skeptiker 16:128-136) zeigt, dass dieser Aufweis, solange keine explizite ID-Theorie formuliert ist, nur 'negativ' möglich ist: es muss gezeigt werden, dass ein bestimmtes System nicht ohne planenden Eingriff entstanden sein konnte. Dazu müssen die Eigenschaften dieses System so genau bekannt sein, dass eine 'natürliche' Entstehung ausgeschlossen werden kann. Bei von Intelligenzen geschaffenen Gegenständen ist das durchaus möglich, selbst von nicht-menschlichen Intelligenzen geschaffene Gebilde wären so als geschaffen erkennbar. Bei den zur Debatte stehenden Systemen, nämlich den Lebewesen, versagt diese Analyse allerdings. Weil sich die Lewesen vermehren und dabei im Lauf der Generationen verändern können, kann nicht eindeutig entschieden werden, ob sie erschaffen wurden oder ob sie 'natürlich' entstanden sein konnten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, ob nicht irgendwann noch Mechanismen bekannt werden, die eine Evolution ohne planerischen Eingriff ermöglichten. Die postulierten Design-Signale können daher bestenfalls plausibel gemacht, aber nicht zwingend aufgewiesen werden. Es ist nicht abzusehen, ob jemals eine konsistente ID-Theorie formuliert werden kann.

Das Ziel, das sich Rammerstorfer gesteckt hat, ist allerdings viel bescheidener: es geht nicht darum, "eine Argumentation für Planung aufzubauen" [115]. Es soll lediglich gezeigt werden, "dass es zwei verschiedene Ansätze gibt, die beide (im Kontext einer ernstzunehmenden Auseinandersetzung mit der biologischen Ursprungsfrage) Beachtung verdienen" [115]. Rammerstorfer stellt dazu einer "'Theorie unintelligenten Designs', die aussagt, aller Anschein von Planung in der Organismenwelt sei tatsächlich bloßer - durch intelligenzlose Abläufe erzeugter - Anschein und welche versucht, dies zu begründen" eine "'Theorie intelligenten Designs', die den Anschein von Planung als real - auf eine planenden Instanz zurückgehend - ansieht" und die "für diesen Realitätsgehalt Nachweise sucht" gegenüber [115]. Das Ziel ist "letztlich 'nur', denen in der wissenschaftlichen Ursprungsdebatte einen Platz zu erkämpfen, die nicht von der "Theorie unintelligenten Designs" überzeugt sind" [115]). Wie soll dieses Ziel erreicht werden?

Rammerstorfer setzt ID aufgrund des Anscheins von Design in der Natur als Standard, der nur deshalb nicht mehr gilt, weil angeblich ein Mechanismus (konkret Darwins Selektionstheorie) gefunden wurde, der Design als Illusion aufweist. Falls es gelingen sollte, diesen Mechanismus als Illusion zu erweisen, wäre Planung wieder eine vertretbare Option. An die Stelle einer echten Alternative tritt daher die Kritik an einer konkurrierenden Auffassung, die, wie oben gezeigt, als einzige Alternative dargestellt wurde.

Dieses Vorgehen kann aber prinzipiell nicht überzeugen. Stellen Sie sich folgende Argumentation eines Geozentristen (eines Vertreters der Theorie, dass die Erde im Zentrum des Universums steht, oft verbunden mit einer eher theologischen Auffassung,die Erde und vor allem wir Menschen darauf seien daher etwas ganz Besonderes) vor: Alle Menschen, auch die, die nicht von einer Erde als Zentrum des Universums ausgehen, erkennen an, dass es so aussieht, als würde die Erde still stehen und beispielsweise die Sonne sich um sie drehen. Dieser Eindruck wird durch die Newtonsche Mechanik als Illusion entlarvt. Wenn nun die Grundlagen der Newtonschen Mechanik widerlegt werden, wird der Geozentrismus automatisch wieder zu einer vertretbaren Option.

Selbstverständlich hinkt dieser Vergleich, aber er trifft den Kern. Um eine echte Alternative darzustellen, müsste ID so ausformuliert werden, dass daraus prüfbare Aussagen abgeleitet werden können, die eine echte alternative Erkärung zur naturalistischen Auffassung darstellen. Rammerstorfers Buch zeigt überdeutlich, dass ID zurzeit nur den Standard kritisieren kann, um so bestenfalls eine Daseinsberechtigung zu erlangen. Das einzige Pfund, mit dem Rammerstorfer wuchern kann, ist der unstrittige Befund, dass Lebewesen zweckmäßig organisiert sind. Gefragt ist aber nach einer Erklärung für das Zustandekommen dieser Strukturen. Rammerstorfers Kritik an der Leistungsfähigkeit der bekannten Evolutionsmechanismen mag durchaus berechtigt sein, ist aber prinzipiell nicht in der Lage, ein Argument für ID zu liefern. ID ist vermutlich prinzipiell gar nicht in der Lage, einen solchen Mechanismus aufzuzeigen, weil es explizit ablehnt, über Art und Schaffensweise des Designers zu spekulieren.

Die eigentliche Stärke des Buchs liegt auf einem ganz anderen Gebiet: der Gegenkritik an Kritikern des ID. Rammerstorfers Analyse von Argumenten, die letztlich darauf beruhen, dass einem Designer bestimmte Eigenschaften bzw. Fähigkeiten zugeschrieben werden, ist durchaus überzeugend. Meist handelt es sich bei den betrachteten Strukturen die zumindest als nicht optimal gebaut, wenn nicht gar als nutzlos, erscheinen (sogenannte Dysteleologien). Ein Beispiel, das schon Darwin anführte, ist die Wirbeltierextremität, die bei unterschiedlichsten Tiere stets aus denselben Knochen gebildet wird, obwohl das fertige Organ vollkommen verschiedene Aufgaben erfüllen muss. Ein intelligenter, allmächtiger Schöpfer hätte die Option gehabt, diese Organe aus speziell für die jeweilige Aufgabe geschaffenen Strukturen optimal zu fertigen. ID macht aber über die Identität des Designers genauso wenig Aussagen wie über dessen Schöpfungsmethode. ID geht zudem davon aus, dass der Designer an Vorgaben, beispielsweise die Naturgesetze oder auch konstruktive Zwänge einer Ausgangsstruktur, gebunden ist. Daher ist es kein stichhaltiges Argument gegen Design, darauf hinzuweisen, dass es Strukturen gibt, die ein intelligenter Designer nicht so geschaffen haben würde. Die angeführten Argumente sind daher zwar durchaus überzeugend, wenn sie gegen konkrete Gottesbilder vorgebracht werden, treffen ID aber nicht. Das ist aber keine Stärke des ID, sondern beruht letztendlich darauf, dass ID keine konkreten Aussagen über den Designer bzw. dessen Handlungsweise macht.

Ebenso problematisch ist es, ID vorzuwerfen, es würde die Forschung hemmen. Da ID Design nur dadurch erkennen kann, dass es aufzeigt, dass ungelenkte Mechanismen nicht in der Lage sind, bestimmte Systeme hervorzubringen, liegt es im Interesse von ID, diese Systeme möglichst umfassend zu erforschen. ID kann daher in bestimmten Fällen sogar forschungsfördernd sein. Viele Design-Vertreter erkennen sogar eine Abstammung der Lebewesen an und betonen, dass sich die Diskussion um Mechanismen dreht.

Als letzter Punkt in diesem Zusammenhang sei der leider zu selten gemachte Unterschied zwischen einer ID-'Theorie', die letztlich eine noch auszuformulierende Signalerkennnungstheorie sein soll, und einer ID-Bewegung, die aufbauend auf ID versucht, evolutionskritisches Denken zu verbreiten, angeführt. Die Leistungsfähigkeit einer ID-'Theorie' hängt genauso wenig von der religiösen Motivation derer ab, die sie vertreten, wie die der Evolutionstheorie davon, dass sie Atheisten eher anspricht. Diese und andere Punkte sollten bei der Diskussion mit ID-Vertretern berücksichtigt werden, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, Strohmann-Argumente zu vertreten.

Ausgesprochen schwach hingegen ist die Gegenkritik an wissenschaftstheoretischen Einwänden gegen ID. Letzendlich beschränkt sie sich auf die These, dass die bewusste Ausblendung eines möglichen Designers dazu führen könnte, ihn nicht zu finden, falls er existierte. Welchen Sinn es aber machen sollte, einen Designer, dessen Eigenschaften und Handlungsweisen prinzipiell nicht erforschbar sind, in die Naturwissenschaften einzuführen, und dessen Wirken man nur daran 'erkennen' kann, dass die Entstehung bestimmter Systeme naturalistisch (noch?) nicht erklärbar ist, konnte noch kein ID-Vertreter aufzeigen. ID wirkt bestenfalls auf Menschen anziehend, die ihren Glauben durch den Naturalismus bedroht sehen und hoffen, durch die Begrenzung der Geltung des Naturalismus irgendwie Platz für ihren Schöpfer schaffen zu können.

Rammerstorfer hat auch erkannt, dass eine Kritik an einer Auffassung nicht hinreicht, um sie obsolet zu machen. Er zeigt auf, dass die Kritik an ID, die von Hume schon vor Paley formuliert wurde, ohne Wirkung blieb, denn die Blüte der sogenannten natürlichen Theologie (die durchaus als Vorläufer von ID aufgefasst werden kann) erfolgte nach Humes Analyse. Erst Darwins Evolutionsmechanismus brachte die Wende. ID ist in genau dieser Situation: die Kritik bleibt 'philosophisch' und daher ohne Wirkung. Das Blatt könnte sich nur wenden, falls ID eine durchformulierte mechanismische Theorie vorlegen könnte, die das erklärt, was der bisherige Standard auch erklärt, und noch mehr. Eine solche Alternative findet man auch in Rammerstorfers Buch nicht.

Das Buch hinterlässt insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. Die Argumentation für ID erfolgt eher am Rande, eine ausformulierte ID-'Theorie' ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar, was der Autor auch selber einräumt [116]. Ein Leser, der eine ausformulierte ID-'Theorie' sucht, wird von diesem Buch, wie von allen Arbeiten zu ID, daher enttäuscht sein. Die Kritik an den gängigen Evolutions-Mechanismen ist zwar teilweise berechtigt, stellt aber kein Argument für ID dar. Für die Diskussion mit ID-Vertretern könnte die in vielen Punkten durchaus zutreffende Kritik an Einwänden gegen ID durchaus nützlich sein. Das Buch kann eigentlich nur Lesern empfohlen werden, die sich aktiv an der Diskussion über ID beteiligen und sich über den Stand der Diskussion genauer informieren möchten.



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12. November 2006
12. November 2006